Christian Fuchs - Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informationsgesellschaft und Veränderungen der Arbeitswelt

Arbeit

Nach Marx ist abstrakte Arbeit wertschaffende Arbeit. Unter konkreter Arbeit kann hingegen die Herstellung von Gebrauchswerten verstanden werden.

"Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert. Alle Arbeit ist andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nützlicher Arbeit produziert sie Gebrauchswerte" ([Marx1867], S. 61).

Im dreizehnten Kapitel des 1. Bandes des Kapitals über die Maschinerie schreibt Marx, daß in der einfachen Kooperation ein Nebeneinander vieler gleichartiger Maschinen möglich wurde, d.h. daß z.B. viele Webstühle gleichzeitig nebeneinander arbeiten konnten, da sie durch eine Dampfmaschine als Bewegungsmaschine angetrieben wurden. Im Maschinensystem werden verschiedene Teilarbeitsschritte kombiniert, es gibt ein Hintereinander von Teilprozessen, die jedoch alle gleichzeitig ausgeführt werden können, indem das Ergebnis eines Prozesses an den nächsten Teilprozeß als Input weitergereicht wird. Das beste Beispiel dafür ist das (erst nach Marxens Tod im Taylorismus/Fordismus auftauchende) Fließband. Beides zeigt, daß die Maschinerie nur unter vergesellschafteter/gemeinsamer Arbeit funktionieren kann. "Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte technische Notwendigkeit" ([Marx1867], S. 330). Unter Kooperation versteht Marx, daß viele planmäßig neben- und miteinander arbeiten ([Marx1867], S. 273).

Als die individuell ausgeführte Handarbeit noch vorherrschte, war die Einheit von abstrakter und konkreter Arbeit auf jeweils eineN ArbeiterIn beschränkt. Mit der kooperativen Arbeit verteilt sich diese Einheit auf alle am kooperativen Produktionsprozeß beteiligten Arbeitenden. Die abstrakte sich in einer Ware vergegenständlichte Arbeit bekommt durch die Maschinerie einen vergesellschafteten Charakter.

Abstrakte Arbeit ist produktive Arbeit. Produktive Arbeit wird bei Marx folgendermaßen näher bestimmt: "Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient" ([Marx1867], S. 532).

Marx verwendet den Begriff "Revenue" auf zwei Arten: Einerseits "um den Mehrwert als periodisch aus dem Kapital entspringende Frucht" ([Marx1867], S. 618; siehe auch S. 591f). zu bezeichnen. Andererseits teilt er den Mehrwert in zwei Teile: Kapital und Revenue. Das Kapital verbleibt in der Zirkulation und Akkumulation, die Revenue wird dem Zirkulationsprozeß durch den Kapitalisten entzogen. Sie ist jener Teil des Mehrwerts, "der vom Kapitalisten periodisch verzehrt oder zu seinem Konsumtionsfonds geschlagen wird" ([Marx1867], S. 618). Für den Begriff der "produktiven Arbeit" ist vor allem die zweite Bedeutung relevant. Dies wird in den "Theorien über den Mehrwert" deutlich:

"Die produktive Arbeit wird hier bestimmt vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion aus, und A.Smith hat die Sache selbst begrifflich erschöpft, den Nagel auf den Kopf getroffen - es ist einer seiner größten wissenschaftlichen Verdienste [...], daß er die produktive Arbeit als Arbeit bestimmt, die sich unmittelbar mit dem Kapital austauscht, d.h. durch Austausch, womit die Produktionsbedingungen der Arbeit und Wert überhaupt, Geld oder Ware, sich erst in Kapital verwandeln (und die Arbeit in Lohnarbeit im wissenschaftlichen Sinn. Damit ist auch absolut festgesetzt, was unproduktive Arbeit ist. Es ist Arbeit, die sich nicht gegen Kapital, sondern unmittelbar gegen Revenue austauscht, also gegen Salair oder Profit (natürlich auch gegen die verschiednen Rubriken, die als copartners am Profit der Kapitalisten partizipieren, wie Zins und Renten) [...] Ein Schauspieler z.B., selbst ein Clown, ist hiernach ein produktiver Arbeiter, wenn er im Dienst eines Kapitalisten arbeitet (des entrepreneur), dem er mehr Arbeit zurückgibt, als er in der Form des Salärs von ihm erhält, während einer Flickschneider, der zu dem Kapitalisten ins Haus kommt und ihm seine Hosen flickt, ihm einen bloßen Gebrauchswert schafft, ein unproduktiver Arbeiter ist. Die Arbeit des erstren tauscht sich gegen Kapital aus, die des zweiten gegen Revenue. Die erste schafft einen Mehrwert; in der zweiten verzehrt sich eine Revenue" ([MEW], Band 26, Theorien über den Mehrwert, S.126ff).

Damit ist klar: Für Marx ist produktive Arbeit mehrwertschaffende Arbeit, die sich unmittelbar mit Kapital austauscht. Unproduktive Arbeit tauscht sich hingegen gegen Revenue aus, sie verzehrt eine Revenue und schafft keinen Mehrwert.

Im weiteren soll die Frage beantwortet werden, welche Arbeit in der "Informationsgesellschaft" produktiv, d.h. mehrwertschaffend ist, und welche nicht. Arbeit in der Informationsgesellschaft sieht heute offensichtlich anders aus als zur Zeit von Marx, da sich die Beschäftigungsstruktur wesentlich verändert hat. Vor allem der Dienstleistungssektor (tertiärer Bereich) ist heute viel größer als damals.

Im folgenden wird also untersucht, wie sich Arbeit verändert hat. Den Anfang dabei macht ein Blick auf die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeit in der Informationsgesellschaft.

Wissenschaft

Im Fordismus wurden planende und ausführende Arbeit getrennt (Kopf- und Handarbeit). Es stellt sich die Frage, inwiefern die Kopfarbeit als Wertzusatz in die Ware einfließt, ob hier also das Wertgesetz unveränderlich anwendbar ist. D.h.: Ist Kopfarbeit eine mehrwertschaffende Arbeit? Mit der Verwissenschaftlichung der Produktion und der immer stärkeren Zunahme der Bedeutung der Produktivkraft Wissen werden wissenschaftliche Vorleistungen der Produktion, die Schaffung von Know-How durch Forschung, die Ausbildung qualifizierter ArbeiterInnen und Wissensarbeit immer bedeutender. Viele Firmen und nahezu alle Konzerne kooperieren nicht nur mit Universitäten und vergeben Forschungsaufträge an diese, sondern haben auch eigene Forschungsabteilungen, die kein allgemein zugängliches Wissen schaffen, sondern Wissen, daß dem eigenen Betrieb vorbehalten bleibt. Die Kopfarbeit, das Wissen als Vorbedingung der Produktion, fließt nicht in ein einziges Produkt ein und muß nicht irgendwann durch Neukauf erneuert werden wie konstantes und variables Kapital, sondern es hat einen unvergänglicheren Charakter: Es fließt in viele Produkte gleichzeitig ein (nicht nur innerhalb eines Betriebes, sondern in vielen Betrieben gleichzeitig), obwohl es nur einmal geschaffen werden muß und es verbraucht oder verschleißt sich nicht. Fixes konstantes Kapital wie die Maschinerie nützt sich ab oder entwertet sich moralisch, zirkulierendes konstantes Kapital wie Rohstoffe fließt stofflich in die Ware ein, ist danach verbraucht und muß für den Produktionsprozeß erneuert werden. Nicht so das Wissen: Es verbraucht sich nicht stofflich und muß nicht durch Neukauf reproduziert werden. Einmal angeeignetes Wissen kann und muß zumeist weiterentwickelt werden, was weitere Kosten verursacht, aber es gibt fast keine Reproduktionskosten des vorhandenen Wissens, es muß nicht permanent neu (re)produziert werden wie etwa das flüssige Kapital v und czirk. Wissen kann zu einem sehr geringen Preis quasi unendlich vervielfältigt werden (es wird also in der Form von Kopien billig reproduziert, muß aber selbst nicht reproduziert werden) und kann in digitaler Form mittels moderner I&K-Technologien global sehr schnell verbreitet werden.

Bereits Marx wußte von dem für das Kapital äußerst günstigen Charakter der Wissenschaft zu berichten: Naturstoffe und Naturkräfte kosten dem Kapital nichts. "Der Grad ihrer Wirksamkeit hängt von den Methoden und wissenschaftlichen Fortschritten ab, die dem Kapitalisten nichts kosten" ([Marx1885], S. 356). Oder: "Die Wissenschaft kostet dem Kapitalisten überhaupt &lsquonichts&rsquo, was ihn durchaus nicht hindert, sie auszubeuten. Die &lsquofremde&rsquo Wissenschaft wird dem Kapital einverleibt, wie die fremde Arbeit" ([Marx1867], S. 331, Fußnote 108). Inzwischen läßt sich das Kapital die wissenschaftliche Forschung einiges kosten, da es den äußerst günstigen Charakter des Wissens in Form der nichtvorhandenen Reproduktionskosten, seiner universellen Anwendbarkeit und des nichtvorhandenen stofflichen Verbrauchs erkannt hat.

Die immer bedeutender werdende wissenschaftliche Arbeit tritt zwar als eine Voraussetzung des Produktionsprozesses indirekt in ihn ein, es kann aber argumentiert werden, daß sie im Sinn der Produktion von Mehrwert keine produktive Arbeit ist. Sie vergegenständlicht sich nicht im Produkt wie die verausgabte menschliche Arbeit, die Mehrwert schafft. Sie ist also keine abstrakte Arbeit, aber auch keine konkrete, da sie keinen Wert der Produktionsmittel auf die Ware überträgt. Sie ist unproduktive Arbeit und fällt aus der Tauschwert-Vergesellschaftung auf dem Markt heraus. Die Wissenschaft ist die "unmittelbare Produktivkraft" (Grundrisse, [MEW] Band 42, S. 602), schafft jedoch selbst keinen Wert. Das allgemeine gesellschaftliche Wissen spiegelt sich im fixen Kapital wider. Für dessen Fortschritt und Entwicklung sorgt die Wissenschaft.

Mehrwert kann nur entstehen, wenn einE ArbeiterIn einem Produkt den Wert ihrer Arbeitskraft zusetzt und darüber hinaus unbezahlten Neuwert schafft. Der Mehrwert kann nur verwertet werden, indem das Produkt, in dem er sich vergegenständlicht, gegen Geld ausgetauscht wird. Dann ist die Verwertung des Wertes, die Akkumulation, möglich. Wissenschaftliche Arbeit ist i.A. jedoch nicht marktkompatibel, sie tauscht sich nicht gegen Geld und hat damit in den meisten Fällen keinen Tauschwert. Was wäre denn das Produkt der Wissenschaft, das teurer verkauft wird als es eingekauft wird? Es existiert in den meisten Fällen nicht, daher existiert auch der Mehrwert wissenschaftlicher Arbeit nicht. Sie ist eine immer wichtigere Basis der Kapitalakkumulation, aber weder produktive noch abstrakte Arbeit.

Mit dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler Arnold Picot können die folgenden charakteristischen Eigenschaften von Information in ihrer Form des Wissens festgehalten werden: "

Wissenschaftliche Arbeit wurde in den 90ern vor allem in Italien im Rahmen des Diskurses über immaterielle Arbeit in Betracht gezogen. Bedeutung haben dabei vor allem die Ideen des marxistischen Staatsrechtlers Toni Negri. Darauf soll nun kurz eingegangen werden.

Wissenschaftliche Arbeit bei Toni Negri

Toni Negri stellt in [NegriHardt1997] eine Tendenz zu immaterieller Arbeit fest: "Arbeit heißt in den gegenwärtigen metropolitanen Gesellschaften mit ungebrochener Tendenz immaterielle Arbeit - also intellektuelle, affektiv-emotionale und technowissenschaftliche Tätigkeit, Arbeit des Cyborg. [...] Computerisierung weiter Zweige der Arbeitsprozesse charakterisieren den Übergang, den Arbeit in ihren Grundlagen gegenwärtig durchläuft. Marx antizipierte diese Transformation und versuchte sie unter dem Begriff des &lsquoGeneral Intellect&rsquo zu fassen" ([NegriHardt1997], S. 14f). Eine quasi intellektuelle Produktivkraft habe sich entwickelt.

Im 3. Band des Kapitals spricht Marx von "allgemeiner Arbeit des menschlichen Geistes", eben jenem General Intellect ([Marx1894], S. 114). "Allgemeine Arbeit ist die wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt teils durch Kooperation mit Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten Früherer" (ebd.). In den Grundrissen benutzt Marx den Begriff des General Intellect für das allgemeine soziale Wissen oder die kollektive Intelligenz einer Gesellschaft. Das fixe Kapital, dabei vor allem in Form der Maschinerie, können sich diese Intelligenz quasi einverleiben, das Wissen vergegenständlicht sich in ihnen:

Maschinen "sind von der menschlichen Hand geschaffne Organe des menschlichen Hirns; vergegenständlichte Wissenskraft. Die Entwicklung des capital fixe zeigt an, bis zu welchem Grade das allgemeine gesellschaftliche Wissen, knowledge, zur unmittelbaren Produktivkraft geworden ist und daher die Bedingungen des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter Kontrolle des general intellect gekommen und ihm gemäß umgeschaffen sind" ([MEW], Band 42, S. 602).

Der Produktionsprozeß trete immer mehr als technologische Anwendung der Wissenschaft auf ([Marx1894], S. 79), die Arbeit sei nicht mehr die bestimmende Produktivkraft. Die lebendige Arbeit wird durch Automation und Computerisierung vom Ort der Produktion ausgeschlossen und in der digitalen Revolution immer stärker durch Maschinerie ersetzt. Dies bedeutet einen sinkenden Anteil an variablem und einen steigenden Anteil an fixem Kapital.

Wissenschaftliche Arbeit kann also mit Marx als "General Intellect" betrachtet werden. Sie schafft keinen Mehrwert, ist aber eine Arbeit, die eine wesentliche Basis der Kapitalakkumulation darstellt und die sich im fixen Kapital vergegenständlicht.

Negri behauptet, daß das Kapital die Automatisierung als Reaktion auf individuelle Arbeitsverweigerungen eingeführt habe (ebd., S. 136f). Diese Verschwörungstheorie erscheint nicht realistisch, vielmehr verspricht die Automation steigende Profitraten durch gesteigerte Produktivität. Die Verweigerung der Arbeit muß jedoch im Kontext der linken Bewegung im Italien der 60er und 70er gesehen werden: Es handelte sich um einen populären Slogan der radikalen Arbeiterbewegung und sozialer Bewegungen, die darauf hinweisen wollten, daß eine postkapitalistische Gesellschaft nicht als Befreiung der (Lohn-)Arbeit zu verstehen sei, sondern als eine Befreiung von der Arbeit. Sie sprachen sich also nicht für eine Verweigerung jeder produktiven Tätigkeit aus, sondern von wertschaffender Lohnarbeit. Letztere solle nämlich abgeschafft werden.

Auf Grund dieser Entwicklungen gebe es heute Voraussetzungen und Elemente, die den Kommunismus antizipieren: Wesentlich dabei sei, daß Produzenten heute immer enger durch Kommunikation und Kooperation verbunden sind. Diese produktive Kooperation antizipiere den Kommunismus. Ein weiteres Beispiel für so ein Element sei der Wohlfahrtsstaat ("reale Inseln neuer gesellschaftlicher Kooperation", S. 140). Die wesentliche Produktivkraft sei heute die technowissenschaftliche Arbeit, Arbeit sei heute vor allem immateriell, kooperativ, wissenschaftlich und intellektuell. Es erscheint als sehe Negri diese Arbeit und sein Subjekt, den "Cyborg" (ein Begriff von Donna Haraway), als Antizipation des Kommunismus. Beide haben für Negri einen autonomen Charakter. Die Subsumtion der technisch-wissenschaftlichen Arbeit seitens des Kapitals erscheint ihm unmöglich

Es hat den Anschein, daß Negri meint, daß Menschen, die technisch-wissenschaftliche Arbeit ausführen (dazu gehören sicherlich nicht nur WissenschaftlerInnen, sondern auch qualifizierte InformationsarbeiterInnen wie beispielsweise in der Industrie gut verdienende InformatikerInnen) ein revolutionäres Subjekt darstellen, da sie sich eine Autonomie erhalten können.

Es stellt sich aber die Frage, ob diese ArbeiterInnen nicht vielmehr eine zunehmend elitäre Klasse darstellen. Qualifizierte Arbeitende, die gut verdienen, identifizieren sich tendenziell mit dem Unternehmen, internalisieren quasi die kapitalistische Logik und handeln ganz im Sinn des Kapitals, da sie eine Interessenskonvergenz zu erkennen glauben. Und die Managementtheorie forciert auch Methoden, die von den Arbeitenden verlangen, sich mit der Arbeit und dem Betrieb zu identifizieren. Oft geht dies einher mit Enthierarchisierungen im Betrieb wie etwa dem Abbau des mittleren Managements oder der Ausweitung individueller Handlungsspielräume (teilautonome Arbeitsgruppen, usw.). Eine tatsächliche Identifikation kann m.E. nach aber nur bei den hochqualifizierten, universitär ausgebildeten Arbeitenden stattfinden, da ihre hohen Löhne als Anreiz wirken. Die Etablierung der neuen techno-wissenschaftlichen Elite geht jedoch im Neoliberalismus einher mit einer immer stärkeren Dequalifizierung niedrig qualifizierter und unqualifizierter ArbeiterInnen. Die digitale Revolution trägt dazu durch die verstärkte Rationalisierung bei. Es stellt sich die Frage, ob die eigentlichen potentiell revolutionären Subjekte diejenigen sind, die weltweit in einer neoliberalen Welt noch weniger am gesellschaftlichen Reichtum partizipieren können als in einer keynesianischen. Im Gegensatz zu Negri kann auch die Meinung vertreten werden, daß qualifizierte technisch-wissenschaftliche Arbeiter tendenziell die Herrschaftslogik internalisieren unddaß die Arbeiterklasse durch die neuen Kooperationsformen nicht mächtiger wird, sondern daß sie sich zusehends spaltet und mit ihrer eigenen Ohnmacht konfrontiert ist.

Die Unterstellung der Autonomie der Wissenschaft kann auch nicht unkritisch stehengelassen werden: Immer stärker werden die Verbindungen zwischen Industrie und Wissenschaft (Daniel Bell z.B. hat dies ausführlich erläutert, siehe auch Abschnitt 3.3.), die Wissenschaft schafft Voraussetzungen der Kapitalakkumulation, ist also zwar nicht direkt, aber doch immer stärker in indirekter Form in den Verwertungsprozeß integriert. Nichtsdestotrotz gibt es wissenschaftliche Nischen, in denen autonome Arbeit möglich ist. Und diese wissenschaftliche Arbeit kann durchwegs auch einen Charakter haben, der versucht, sich der vorherrschenden Logik zu entziehen und der dieser auch gegensteuern kann.

Nachdem nun der Stellenwert wissenschaftlicher Arbeit in der Informationsgesellschaft behandelt wurde, kann nun der Blick auf andere Formen der Arbeit geworfen werden. Wesentlich dabei sind Dienstleistungen und Informationsarbeit. Welchen Stellenwert haben sie heute? Schaffen sie Mehrwert?

Dienstleistungen und Informationsprodukte

Die Rahmenbedingungen und die Infrastruktur der Warenproduktion werden immer bedeutender: In allen Industriestaaten zeigt sich ein Trend des sektoralen Strukturwandels (siehe [Ofner1997], S. 253ff, S. 297ff): Der primäre Sektor Landwirtschaft nimmt ab (meist unter 10 Prozent der Beschäftigten sind darin tätig), der sekundäre, warenproduzierende Sektor ist rückläufig (und beläuft sich meist um die 30 Prozent), während der DL-Sektor immer größer wird (60 bis 70 Prozent). Der tertiäre Sektor ist schwer zu definieren: Manche meinen Arbeit darin zeichne sich durch kein separates Produkt aus, Informationsprodukte wie CDs, Filme, usw. haben jedoch sehr wohl eine stoffliche Basis. Andere argumentieren, daß sich Dienstleistungen durch ein immaterielles Produkt auszeichnen (z.B. Haarschnitt). Hier trifft dieselbe Kritik zu wie bei der Behauptung eines nichtseparaten Produktes. Wird argumentiert, daß sich Dienstleistungen durch eine Gleichzeitigkeit von Produktion und Konsum auszeichnen, so trifft dies zwar auf die meisten persönlichen Dienstleistungen zu, aber nicht auf Informationsprodukte, Kunst, Wissenschaft, Musik, Kultur, Film, usw. Daher erscheint eine Restdefinition wie bei [Ofner1997] am angebrachtesten: Im tertiären Sektor werden alle Erwerbstätigkeiten subsumiert, die weder in den primären noch in den sekundären Sektor passen (vgl. [Ofner1997], S. 253: "Dienstleistungen werden hier als Restkategorie zu den produzierenden Tätigkeiten in Land- und Forstwirtschaft, Gewerbe und Industrie aufgefaßt").

Es stellt sich die Frage, warum dieser tertiäre Sektor immer stärker anwächst. Marx lieferte im 13. Kapitel des 1. Bandes des Kapitals einen Hinweis darauf: "Endlich erlaubt die außerordentlich erhöhte Produktivkraft in den Sphären der großen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen übrigen Produktionssphären, einen stets größren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu werden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der &lsquodienenden Klasse&rsquo, wie Bediente, Mägde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren" ([Marx1867], S. 120).

Dies läßt die Vermutung anstellen, daß durch die Weiterentwicklung der technischen Produktivkraft, die sich seit den 60ern massiv in Form der Automatisierung und Computerisierung äußert, produktive Arbeit in der Industrie eingespart wird. Immer weniger Arbeiter sind nötig, um den Mehrwert industriell zu produzieren, da durch den Einsatz immer produktiverer Maschinen immer mehr in immer weniger Zeit produziert werden kann. D.h., daß der konstante Kapitalanteil relativ zum variablen steigt. Die Ausweitung des Dienstleistungssektors kann als eine Methode verstanden werden, um die von der Industrie freigesetzten Arbeitnenden zu absorbieren oder ihre Anzahl zu vermindern. "Die Vermehrung der &lsquoDienstleistungsjobs&rsquo ist also eine Methode, um die durch technischen Fortschritt erzeugte Arbeitslosigkeit abzubauen" ([AltvaterHeckerHeinrichSchaper-Rinkel], S. 120). Es wurde bereits erwähnt, daß der Marxist Robert Kurz in Frage stellt, daß der Dienstleistungssektor die Arbeitslosigkeit, die im industriellen Sektor entsteht, kompensieren kann, da auch im DL-Bereich Automatisierungsöglichkeiten bestehen (vgl. [Kurz1999], S. 718ff). Franz Ofner weist in [Ofner1997] darauf hin, daß Tätigkeiten immer dann automatisierbar sind, wenn sie mathematisch und formal logisch beschreibbar sind. Dann ist es leicht möglich, die entsprechenden Tätigkeiten durch Maschinen zu ersetzen, auf denen Programme, die mit Verzweigungen arbeiten (if Bedingung 1 then Aktion 1, if Bedingung 2 then Aktion 2 usw.) ablaufen. Dies ist auch im Dienstleistungsbereich der Fall. Man/Frau denke z.B. an den Boom des Internetbuchversandes (Amazon usw.) oder an die Möglichkeit, daß durch Informations- und Kommunikationssysteme ein Medium zur Verfügung gestellt wird, daß Menschen als Dienstleistende überflüssig macht (z.B. bei einem interaktiven Reisebüro, E-Commerce, Online-Bankgeschäften usw.). Es kann also gesagt werden, daß in fast allen Beschäftigungsbereichen Automatisierungsmöglichkeiten bestehen, die auch wahrgenommen werden, da dadurch Personalkosten eingespart werden können. Dies kann auch als ein Grund für die Entstehung von Massenarbeitslosigkeit angesehen werden.

Es fällt auf, daß es Dienstleistungen gibt, bei denen keine Ware entsteht, die im Tausch gegen Geld verkauft wird, um Profit zu realisieren. Dazu gehören z.B. Tätigkeitsbereiche wie Dienstpersonal, öffentliche Verwaltung, Tätigkeiten im Gesundheits- und Bildungsbereich (solange keine Privatisierung stattgefunden hat und damit Gesundheit und Bildung nicht direkt zu Waren geworden sind). Im Sinn von Marx kann gesagt werden, daß diese Tätigkeiten keine produktiven sind: Es ensteht kein Produkt, das verkauft wird. Daher kann auch kein Profit realisiert werden. Der Profit entspringt aus dem Mehrwert durch eine Realisierung, wenn die Ware verkauft wird. Wenn kein Verkauf einer Ware vorgesehen ist, so gibt es auch keine Mehrwertproduktion. Bei den genannten Dienstleistungen entsteht kein Mehrwert, daher handelt es sich nicht um produktive oder abstrakte Arbeit. Vielmehr wird diese Arbeit entweder durch die Revenue oder aus öffentlichen Geldern bezahlt.

Es stellt sich nun die Frage, ob sämtliche Tätigkeiten im Dienstleistungsbereich unproduktive sind, bei denen kein Mehrwert entsteht. Wird der Dienstleistungsbereich als Restkategorie verstanden, so erscheint dies zweifelhaft, da wir es bei Dienstleistungen mit sehr heterogenen Beschäftigungsarten zu tun haben. Diese Fragen sollen nun geklärt werden. Insbesonders steht dabei im Vordergrund, ob die Arbeit im Bereich der Computerindustrie mehrwertschaffend und produktiv ist.

Die beiden amerikanischen Systemanalytiker Jim Davis und Michael Stack meinen, daß das Wertgesetz auf die Produktivkraft Wissen anwendbar ist: "Der Tauschwert von Wissen ist somit die für Forschung, Analyse und Darstellung notwendige Arbeit" ([DavisStack1995], S. 14). "Informationsverarbeitende ArbeiterInnen können Mehrwert produzieren und sind damit produktive ArbeiterInnen im marxistischen Sinne" (ebd., S. 19, Fußnote 26).

Der Informatiker Peter Fleissner vertritt im Gegensatz dazu in [Fleissner1987] und [Fleissner1995] die Auffassung, daß Infomations- und Wissensarbeit keine mehrwerterzeugende Arbeit ist, da der Output nicht akkumulierbar sei: "[...] gilt die Arbeitswertlehre in der klassischen Form nicht für solche Arbeitsbereiche, deren Output nicht akkumuliert werden kann. Manche Dienstleistungen, jene, die im Augenblick ihrer Entstehung verbraucht werden, die weder gelagert noch weiterverkauft werden können, sondern sofort konsumiert werden müssen, stellen zwar Gebrauchswerte dar, da aber wegen der Nichtakkumulierbarkeit kein Mehrprodukt, und wegen der fehlenden stofflichen Basis auch kein Mehrwert erzeugt wird, sondern Tauschwerte verbraucht werden, nenne ich diese Bereiche zum Unterschied von den klassischen werterzeugenden Sektoren wertverbrauchend. Die Erzeugung von Wissen in kapitalistischen Dienstleistungsbetrieben, Forschung und Entwicklung, fallen genau unter diese Kategorie".

Im Dienstleistungssektor, so Fleissner, werden nur Gebrauchswerte erzeugt. Die meisten Dienstleistungen seien aber nicht direkt an der Produktion von Mehrwert beteiligt. Die Kapitalakkumulation und die Profite im Dienstleistungsbereich ließen sich dadurch erklären, daß das reale Preissystem vom Arbeitswertpreissystem abweiche. Es werde also durch den Verkauf von Dienstleistungsprodukten sehr wohl Profit gemacht. In diesen Produkten stecke jedoch kein Mehrwert, da dieser nur im industriellen Sektor entstehen könne. Die Mehrwertmasse und die Profitmasse würden daher nicht mehr übereinstimmen.

Der Dienstleistungssektor als Restkategorie ist ein äußerst heterogener Beschäftigungsbereich. Daher stellt sich die Frage, ob gesagt werden kann, daß bei sämtlichen Dienstleistungen kein Mehrwert produziert wird. Es besteht auch die Möglichkeit, spezielle Dienstleistungen diesbezüglich zu betrachten.

Der tertiäre Bereich absorbiert einen immer größeren Teil der gesellschaftlichen Arbeit. Die Rahmenbedingungen der Warenproduktion, die universitäre Wissenschaft, Transport, Kommunikation, Energieversorgung, Ausbildung, der Gesundheitsbereich, sozialstaatliche Einrichtungen und staatliche Dienstleistungen gehen in alle produktive Arbeit als Voraussetzung indirekt ein, das Wertgesetz ist jedoch nicht auf sie anwendbar: Sie fließen nicht als abstrakte, vergegenständlichte, wertschaffende Arbeit in Waren ein, sondern gehen als gesellschaftliche Arbeit in alle Produkte indirekt ein. Diese unproduktive Arbeit ist weder wertschaffend noch wertzusetzend, sie wächst aber immer stärker an. Auf die bereits erwähnten unproduktiven Dienstleistungen trifft Peter Fleissners Argumentation sicherlich zu, da hier der Output tatsächlich nicht akkumulierbar ist.

Im tertiären Sektor befinden auch jene Arbeiten, die mit der Schaffung von Informationsprodukten wie CDs, Software, Filme, Videos, DVDs, Laserdiscs, Minidiscs, usw. zu tun haben. Wie sieht es hier mit der Mehrwertproduktion aus? Enthält ein Informationsprodukt wie eine Software einen Mehrwert? Ist Programmieren eine produktive Arbeit im Sinn von Marx?

Betrachten wir also die Entwicklung einer Software: Das Wissen der ProgramiererInnen erscheint in abstrahierter Form in einem Programm. Software ist kodiertes Wissen. Der eigentliche Produktionsprozeß erfolgt mit einem materiellen Träger wie CD, Diskette usw. industriell im Preßwerk (oder die Software wird über das Internet vertrieben). Die Reproduktionskosten dabei sind äußerst gering, eine einmal geschaffene Software kann mit äußerst geringen Kosten vervielfältigt werden (c und v sind dabei also sehr gering). Nur der stoffliche Träger der Information muß als fixes konstantes Kapital permanent erneuert werden, nicht so das von den SoftwareentwicklerInnen geschaffene Wissen: Die Kosten für seine Erzeugung fallen nur einmal an. Mit Intellectual Property Rights (IPR, z.B. Patente, Urheberrechte) versuchen Softwarefirmen die exklusive Nutzung von geschaffenem Wissen für sich zu garantieren.

Erzeugt der Programmierer Mehrwert? Es sei nochmals an die Definition bei Marx erinnert: "den Überschuß über den ursprünglichen Wert nenne ich - Mehrwert" ([Marx1867], S. 165). Nach dieser Definition produzieren ProgramiererInnen Mehrwert, da der Kapitalist die Arbeitskraft und die notwendigen Produktionsmittel kauft. Der Wert einer Software entspricht aber nicht der Summe von konstantem und variablem Kapital, sondern sie wird teurer als das vorgeschossene Kapital verkauft. Daher muß ein Mehrwert in ihr stecken. ProgrammiererInnen arbeiten mehr als sie bezahlt bekommen, daher leisten sie Mehrarbeit und produzieren Mehrwert.

Wesentlich für den Mehrwert ist aber auch, daß er Selbstzweck ist, d.h. daß er sich verwertender Wert ist: Ein Teil des Mehrwerts verbleibt in der Zirkulation, wird wieder zum Ausgangspunkt des Akkumulationsprozesses in der Form von Geldkapital G, das reinvestiert wird. "Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos" ([Marx1867], S. 167).

Die Produktion beispielsweise eines Autos folgt sehr wohl der Form G-W..P..W'-G', G' wird erneut investiert, mehr Autos werden produziert, damit G' weiter erhöht werden kann. D.h. es kann gesagt werden, daß der Output des Produktionsprozesses akkumulierbar ist. Es werden Autos hergestellt, damit sie verkauft werden, noch mehr Autos hergestellt werden können und noch mehr Kapital akkumuliert wird.

Ist der Output von Informationsarbeit (z.B. Software) akkumulierbar? Eine Software wird nicht erzeugt und verkauft, damit dieselbe Software in höherer Anzahl neu programmiert wird. Es kann also nicht direkt von der Akkumulierbarkeit der Software oder von Informationsprodukten gesprochen werden. Dies kommt daher, daß Wissen die Eigenschaft hat, daß es nur einmal erzeugt werden muß und nicht permanent reproduziert werden muß, damit es verfügbar ist. Bei Rohstoffen ist dies z.B. nicht der Fall. Der Wert ist Selbstzweck in Mehrwertform, da er im Kapitalkreislauf auf sich selbst rückgekoppelt wird, der Endpunkt der Kapitalmetamorphose G' wird dabei zum Ausgangspunkt G eines neuen Kapitalkreislaufes. Die Softwareentwicklung ist kein rückgekoppelter Prozeß, es wird nicht ein mehr derselben Software durch Reinvestition von akkumuliertem Kapital erzeugt.

Damit tatsächlich Profit aus Wissen entspringt, muß es eine materielle Basis erhalten. Dies erfolgt durch seine Speicherung auf Datenträger, die seine Vermarktbarkeit erlauben. Erst in dieser materiellen Form entsteht der Tauschwert des Wissens. Die Software an sich, die sich auf einem lokalen Rechner befindet, ist noch nicht tauschbar. Erst wenn sie einen Träger wie Diskette, CD-ROM oder Internet bekommt, kann sie im großen Ausmaß gegen Geld getauscht werden.

Die Software muß in den meisten Fällen industriell vervielfältigt werden. Damit bekommt sie eine stofflich-materielle Basis. Diese industrielle Vervielfältigung muß entweder als Dienstleistung angekauft werden oder sie wird von einer Softwarefirma selbst durchgeführt. Beim industriellen Fertigungsprozeß muß Arbeitskraft als variables Kapital v und konstantes Kapital in Form der Maschinerie und des Rohmaterials (Disketten, CDs, ...) angekauft werden.

Für jede Kopie der Software muß nun nicht mehr das zugrundeliegende Wissen, das sich in der Software vergegenständlicht, neu geschaffen werden. Sobald es einmal existiert und die Arbeiter, die es erzeugen, bezahlt wurden, kostet es nichts mehr und es fließt gratis in die industrielle Produktion ein. Das kodierte Wissen in Form der Software gehz nun quasi als kostenlose Basis in jede Kopie ein. Jede einzelne Kopie wird teuer verkauft, also um ein vielfaches ihrer Herstellungskosten. Es werden Softwarekopien hergestellt, um sie zu verkaufen und um Reinvestitionen vorzunehmen. Dadurch, daß eine Software eine materielle Basis erhält und industriell vervielfältigt wird, wird sie akkumulierbar. Diese industrielle Prozeß folgt dem Wertgesetz, genauso wie die Herstellung von Autos. Es gilt noch immer: Je mehr Arbeit in eine Software hineingesteckt wird, desto teurer ist sie. Aber es ist nicht so, daß der Preis einer Software der darin enthaltenen Arbeit 1:1 entspricht. Das ist generell nicht der Fall und die Eigenschaften des Wissens (muß nur einmal hergestellt werden, sehr einfach und günstig vervielfältigbar) begünstigen dies.

Im dritten Band des Kapitals beschreibt Marx, daß die realen Preise von den Arbeitswertpreisen (W = c + v + m) abweichen. Der Verkaufspreis einer einzelnen Kopie des kodierten Wissens übersteigt seinen Arbeitswert bei weitem. Marx führte den Produktionspreis im 3. Band des Kapitals ein: "Der Preis einer Ware, welcher gleich ist ihrem Kostpreis plus dem im Verhältnis ihrer Umschlagsbedingungen auf sie fallenden Teil des jährlichen Durchschnittsprofits auf das in ihrer Produktion angewandte (nicht bloß das in ihrer Produktion konsumierte) Kapital, ist ihr Produktionspreis" ([Marx1894], S. 168). Zur Erinnerung: Der Kostpreis k = c + v. Illustriert sei dies an folgendem Beispiel, bei dem die Produktpreise dreier Waren voneinander abhängig sind.

Zusammensetzung Wert Profitrate Produktpreis
I 80c+20v+20m 120 20% 120
II 90c+10v+10m 110 20% 120
III 70c+30v+30m 130 20% 120

Tab. 3.2.: Produktionspreisbeispiel nach [Marx1894], S. 174

Der Wert der drei Waren ist unterschiedlich, da sie jedoch voneinander abhängen, muß die Durchschnittsprofitrate berechnet werden: Sie beträgt 20 Prozent. Der Durchschnittsprofit ist also pg=(20m+10m+30m)/3 = 20. Der Produktpreis ergibt sich für jedes Produkt als c + v + pg, beträgt also für alle drei Waren 120.

Dies soll zeigen, daß schon die klassische Arbeitswerttheorie erkannte, daß der Preis eines Produktes nicht gleich dem Arbeitswert W = c + v + m ist. Es sollte daher auch nicht überraschen, daß der Preis von Informationsprodukten wie einer Software nicht mir ihrem Arbeitswert übereinstimmt.

Zusammenfassend: Software als kodiertes Wissen wird nur einmal erzeugt, dies entspringt aus den spezifischen Eigenschaften des Wissens als Gut, das nicht permanent neu erschaffen werden muß. Dabei produzieren die ProgrammiererInnen Mehrwert. Dieser Mehrwert kann aber nur Selbstzweck sein, also sich verwertender Wert, indem das Informationsprodukt industriell vervielfältigt wird. Die Vervielfältigung ist ein eigenständiger Prozeß, der erst nach der Erzeugung der Software erfolgen kann. In diese geht das kodierte Wissen als unvergängliche, nun quasi gratis zur Verfügung stehende Basis, die nicht erneuert werden muß, ein. Es fallen hier nur mehr das variable Kapital, mit dem die VervielfältigerInnen bezahlt werden, und das konstante Kapital (Disketten, CDs, Vervielfältigungsmaschinerie, ...) als Kosten an. Nur durch diesen industriellen Prozeß kann die Mehrwertproduktion zum Selbstzweck in Form einer Rückkopplung (G&rsquo wird zu G, damit beginnt der Zirkulationsprozeß von neuem) werden. Der Preis einer Software entspricht nicht ihrem Arbeitswert, da Wissen nur einmal erzeugt werden muß und sehr günstig vervielfältigt werden kann. Wissen muß nicht permanent reproduziert werden, damit es genutzt und verwertet werden kann. All dies gilt nicht nur für Software, sondern auch für andere Informationsprodukte wie Videos, Filme, Musik, usw.

Bei jenen Dienstleistungen, bei denen ein Informationsprodukt entsteht, handelt es sich um produktive Arbeit, da Mehrwert produziert wird. Bei anderen Dienstleistungen (Bedienstete, öffentliche Verwaltung, staatliche Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung und Wissenschaft usw.) entsteht kein Produkt, das getauscht wird. Daher handelt es sich hier um unproduktive Arbeit, bei der kein Mehrwert entsteht. Diese Arbeit hat vielmehr jene Bedeutung, daß sie die Basis und die Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation herstellt.

Dazu sei nochmals die Sichtweise Peter Fleissners erwähnt: "Während in den meisten Dienstleistungbranchen keine wertbildede Arbeit geleistet wird - etwa im Handel, in der Lagerung, im Transport, in Banken und Versicherungen, im Hotel- und Gaststättenwesen, in der Forschung, Bildung, im Gesundheitswesen und im Staatsdienst - gibt es unter den Dienstleistern warenproduzierende, wertbildende Ausnahmen, wie etwa Maler, Bildhauer oder Programmierer (sofern sie branchenspezifische oder regionalspezifische Standardsoftware, nicht jedoch, sofern sie Individualsoftware erzeugen), die für einen Markt produzieren, und deren Tätigkeit in einem Gegenstand, der auch nach Ende des Produktionsaktes fortexistiert, gelagert und akkumuliert werden kann, seinen Niederschlag findet. Diese Dienstleister zählen im obigen Sinn zu den wertbildend[en SIC!] Tätigkeiten" ([Fleissner1987], S. 48).

Ein weiterer bedeutender Mechanismus, um Profit mit Software zu realisieren, ist, daß von Softwarefirmen Lizenzen zur Nutzung einer Software vergeben werden. Solche Lizenzen sind teuer (etliche tausend Schilling beispielsweise für Microsoft-Produkte), die Herstellung des einzelnen Softwareproduktes ist jedoch äußerst billig.

Der philippinische Marxist und Grün-Politiker Roberto Verzola faßt dies folgendermaßen zusammen: "Eine Diskette mit Software, die für einige Cents kopiert werden kann, wird um 50 Dollar verkauft. Eine CDROM, die für 3 Dollar reproduziert werden kann, wird um 300 verkauft. [...] Der Verkäufer macht Profit, indem er vom Staat ein Monopol für die Verwendung und das Kopieren des Informationsproduktes erwirbt und indem das Sharing zwischen UserInnen kriminalisiert wird. [...] Monopole erzeugen die Knappheit. Solche Monopole sind euphemistisch bekannt als &lsquoIntellektuelle Eigentumsrechte&rsquo (Intellectual Property Rights, IPR), der Hauptform des Eigentums in einer Informationsökonomie. [...] Die neuesten Veröffentlichungen von populärer Software, Songs und Videos werden sofort in jeder Ecke des Globus kopiert. Tatsächlich globalisiert sich Information automatisch ohne Rücksicht auf den Willen derer, die darauf bestehen, sie zu monopolisieren. [...] Die Produkte einer Informationsökonomie sind aber nichtmaterielle Güter. Die Reproduktionskosten von Informationsgütern sind sehr gering. Dies hat zu der weitverbreiteten sozialen Praxis des freien Teilens und Austausches von Information geführt. Informationsmonopole sind zur Hauptform des Eigentums im Informationssektor geworden. [...] Produkte dieser Informationsökonomie breiten sich weltweit aus, indem Menschen umsonst Informationsgüter teilen und austauschen. [...] Daher braucht eine Informationsökonomie ein globales System, um ihre Monopole geltend zu machen und um Informationsmaterial weltweit zu sammeln, um Intellektuelle abzuhören und natürlich um Zahlungen weltweit einzutreiben. Dies führt zur Globalisierung der Informationsökonomie und ist der Motor der dritten Welle der Globalisierung" ([VerzolaWeb], Übersetzung aus dem englischen, CF).

Wenn Veränderungen der Arbeitswelt in der Informationsgesellschaft in Betracht gezogen werden, so muß auch ein Blick auf die Anwendung von Technik geworfen werden. Der Technikeinsatz verändert die Arbeit. Im Kapitalismus stehen Arbeit, Technik und die Profitraten in enger Beziehung zueinander. Der bei Marx beschriebene tendenzielle Fall der Profitrate ist ein wesentliches Moment ökonomischer und damit gesellschaftlicher Veränderung. Damit verstanden werden kann, mit welchen Veränderungen der Weg in die Informationsgesellschaft verbundenn ist, müssen all diese Aspekte berücksichtigt werden. die folgenden kurzen Abschnitte setzen sich damit auseinander.

Arbeit, Technik, relativer Mehrwert, der tendenzielle Fall der Profitrate und ihre Bedeutung für Krisen des Kapitalismus

Marx hat zwei Methoden der Produktion von Mehrwert beschrieben: Die Methode des absoluten Mehrwerts, bei der durch eine Verlängerung des Arbeitstages Mehrwert entsteht. Dies stößt jedoch einerseits an institutionelle Schranken in Form des gesetzlich beschränkten Normalarbeitstages und andererseits an eine physische Schranke, da die Arbeitenden nicht maßlos belastbar sind. Daher wird die Methode des relativen Mehrwerts immer bedeutender: Der Arbeitstag zerfällt dabei in zwei Teile: Die Arbeit, die notwendig ist, um das Lohnäquivalent zu produzieren und jene unbezahlte Mehrarbeit, die den Mehrwert produziert. Durch den technischen Fortschritt, d.h. die Entwicklung der technischen Produktivkraft, wird die Mehrarbeit verlängert. Der Einsatz produktiverer Maschinerie als Methode des relativen Mehrwerts hat zur Folge, daß der Arbeiter in derselben Zeit mehr produziert als zuvor, d.h. die Produktivität steigt. Dies stellt eine Intensifikation der Arbeit dar: der Exploitationsgrad der Arbeit/die Rate des Mehrwerts steigt, da mehr Wert in kürzerer Zeit geschaffen wird. m steigt also an, während v in der Regel gleich bleibt. Es erfolgt eine vergrößerte Wertverausgabung der Arbeit in kürzerer Zeit. Zur Zeit von Marx stellten Erhöhungen der Maschinengeschwindigkeiten eine häufige Form der Intensivierung dar, Technik wurde somit zum Herrschaftsmittel. Ein modernes Beispiel der Intensivierung der Arbeit aus dem Softwarebereich sind die Objektorientierte Programierung (OOP) und Computer Aided Software Engineering (CASE): Spezielle grafische Benutzerschnittstellen erlauben es dem/der SoftwareentwicklerIn, Benutzerschnittstellen und Softwaremodule viel schneller herzustellen als früher. Während die Programmierung einer Benutzerschnittstelle mit Turbo Vision bei Turbo Pascal (nichtgrafisch) noch Stunden in Anspruch nahm, kann dieselbe Arbeit heute mit CASE-Tools wie Delphi in wenigen Minuten erledigt werden. Die Produktivität der Softwareentwicklung nimmt also durch diesen technische Fortschritt zu, der/die ArbeiterIn erledigt mehr in der selben Zeit als zuvor, die Arbeit hat sich also intensiviert.

Mit der zunehmenden Verwissenschaftlichung der Produktion, mit fortschreitender Automatisierung und der damit verbundenen Rationalisierung und der Computerisierung der Produktion hat die technische Produktivkraftentwicklung eine neue Stufe, jene der digitalen Revolution, erreicht. Durch die gesteigerte Produktivität wird die lebendige Arbeit in der Warenproduktion immer unnötiger. Dies erklärt auch, warum der Dienstleistungsbereich sich seit den 60ern immer weiter ausdehnte. In der industriellen Produktion sind immer weniger Menschen nötig, daher wird versucht, in anderen Bereichen Profit zu realisieren. Dies kann als die eigentliche Ursache des Übergangs zur "Informationsgesellschaft" und der Ausweitung des tertiären Sektors betrachtet werden. Durch die Erhöhung der Produktivität und den verstärkten Einsatz von Maschinen in der digitalen Revolution erhöht sich die organische Zusammensetzung des Kapitals . Daraus erwächst der tendenzielle Fall der Profitrate (TFPR) als Moment und wesentliche Bedingung der ökonomischen Krisen seit den 70ern. Marx hat diesen Fall der Profitrate im 3. Band des Kapitals genau beschrieben:

Der Einsatz neuer Maschinerie vermindert die Anzahl der beschäftigten Arbeitenden, sie werden überflüssig, ihr Gebrauchs- und Tauschwert erlischt. Ein Teil von v wird also in c verwandelt, das konstante Kapital produziert jedoch keinen Mehrwert, dieser kann nur aus der lebendigen Arbeit erwachsen. Ein Widerspruch besteht darin, daß die Rate des Mehrwerts dadurch erhöht wird, daß sich die Arbeiterzahl verkleinert. Der Logik folgend, müßten nämlich normalerweise mehr Arbeitende mehr Mehrwert als zuvor schaffen. Hier verhält es sich aber eben umgekehrt: Eine geringere Anzahl von Arbeitenden schafft mehr Mehrwert als zuvor. v nimmt relativ zu c ab (d.h. die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt). Um im Warenwert W = c + v + m m mindestens gleich zu halten, muß die Rate des Mehrwerts durch Steigerung von m erhöht werden. Dies kann durch die gesteigerte Produktivität der neuen Maschinerie einfach gewährleistet werden. Der Exploitationsgrad der Arbeit steigt, gleichzeitg nimmt die "überflüssige Arbeiterpopulation"/die "industrielle Reservearmee", also das Heer der Arbeitslosen, zu.

Durch Akkumulation wächst das Kapital. Trotz einer solchen absoluten Zunahme kann durch den Einsatz produktiverer Maschinerie v relativ zu c abnehmen, d.h., daß die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt. Marx erläutert den tendenziellen Fall der Profitrate mit folgendem Beispiel: Durch die Entwicklung der Produktivkräfte wächst c relativ und absolut, die Rate des Mehrwerts wird als konstant angenommen. Im Lauf von 5 Zeitschritten stellt sich das in Tabelle 3.2. ersichtliche Ergebnis ein:

i

ci

vi

1

50

100

2

100

100

3

200

100

4

300

100

5

400

100

Tab 3.3..: Beispiel für den tendenziellen Fall der Profitrate ([Marx1894], S. 221)

Die Profitrate fällt zeitlich. ist dabei konstant, würde jedoch m anwachsen, so auch c und v. Wenn also z.B. bei i=1 c1 und v1 doppelt so groß wären, also c1 = 100 und v1 = 200, so wäre auch m1 höher, z.B. m1=200. An der Profitrate würde dies aber nichts ändern, sie wäre noch immer . Dies zeigt, daß beim tendenziellen Fall der Profitrate v relativ zu c fällt, obwohl die Kapitalmasse durchwegs steigen kann. Wenn also durch Akkumulation das Kapital wächst, also c und v absolut, kann die organische Zusammensetzung des Kapitals trotzdem steigen, wenn c auf Grund der technisch erhöhten Produktivität schneller wächst als v.

Marx erwartete durch den TFPR die Verlendung der Massen, da immer mehr Menschen aus dem Prozeß der Warenproduktion ausgeschlossen würden, wodurch die Arbeitslosigkeit und die Armut zunehmen und die dermaßen proletarisierte Bevölkerung zur sozialen Revolution übergehen würde, die kapitalistische Produktionsweise aufheben würde. "Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die relative Überbevölkerung oder industrielle Reservearmee. Die zur Verfügung stehende Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt, wie die Expansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber die Reserve im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die ständige Überbevölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschicht der Arbeiterklasse und die industrielle Reservearmee, desto größer der offizielle, amtlich anerkannte Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation" ([Marx1867], S. 581f).

Marx betonte auch, daß es Gegentendenzen zum TFPR gibt: die Löhne v können absolut gesenkt werden, es kann versucht werden, daß konstante Kapital zu verbilligen, die Methoden des absoluten und des relativen Mehrwerts sind anwendbar (z.B. Intensifikation der Arbeit durch Steigerung des Exploitationsgrades der Arbeit, etwa: ), der auswärtige Handel und der Absatz von Waren über ihrem Wert (erhöht Profitrate) können gegensteuern (letzteres bedingt die ständige Ausweitung des kolonialen Absatzmarktes), das fixe konstante Kapital entwertet sich unbeständig oder das Kapital wird gewaltsam (z.B. durch Krieg) entwertet. Im vierzehnten Kapitel des 3. Buches des Kapitals beschreibt Marx diese Gegentendenzen detailliert (siehe [Marx1894], S. 242-250).

Ohne solche Gegentendenzen würde der Kapitalismus zusammenbrechen. Bisher zeig(t)en sich zwar zyklische Krisen des Kapitalismus, Gegentendenzen verhindern aber zumeist den Zusammenbruch.

Der TFPR ist genauso wie die von Marx unpassenderweise so genannte "Anarchie der Produktion", d.h. die unkoordinierte Produktion nach Profitentscheidungen fernab des tatsächlichen Bedarfes, und die Unterkonsumption, d.h. eine Störung im Warenkapitals W', das nicht mehr in G' verwandelt werden kann (z.B. auf Grund mangelnder Nachfrage oder Überproduktion), eine Ursache von zyklischen Krisen im Kapitalismus.

Seit den 70ern zeigt sich eine zyklusunabhängige Massenarbeitslosigkeit, die digitale Revolution verstärkt die Arbeitslosigkeit immer mehr, die gesellschaftlich notwendige durch den Menschen zu leistende Arbeit sinkt. Wie damit umgegangen werden soll, ist eine Streitfrage. Fest steht, daß mit weniger aufgewendeter Arbeit immer mehr Produkte im gleichen Zeitraum produziert werden können.

Welche Folgen der TFPR für gesellschaftliche Entwicklungen seit den 60ern hatte, werden wir in Abschnitt 3.6. sehen. Da der Technikeinsatz anscheinend Arbeitslosigkeit verursacht, ist es sinnvoll, sich näher mit dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Das Verhältnis von Technik und Gesellschaft

In westlichen Ländern zeigt sich ein Trend dazu, daß eine Elite von High-Tech-Arbeitskräften entsteht, die sehr gut verdienen und mit entsprechendem Streß und Überarbeitung zu tun haben. Parallel dazu steigt die Anzahl der Arbeitslosen, befristeten Arbeitsverhältnisse, Teilzeitjobs, ZeitarbeiterInnen, LeiharbeiterInnen, geringfügig Beschäftigten und der prekären Arbeitsverhältnisse. Die digitale Revolution des Kapitalismus produziert zwei Klassen: GewinnerInnen und VerliererInnen der Automatisierung und der Zunahme der Bedeutung der Produktivkraft Wissen. Erstere ist eine kleine Elite, die Anzahl jener, die zur zweiten zu rechnen sind, steigt permanent.

Der Maschinensturm in der Form der Zerstörung von Maschinen war ein sozialer Protestschrei im sich industrialisierenden England. Die erste derartige Rebellion gegen die neue Verwertungslogik war 1811 die Ludistische Rebellion der Strumpfarbeiter in Nottingham. Sie protestierten gegen Entlassungen und Lohnkürzungen, indem sie nachts durch die Straßen zogen und Maschinen zerstörten. Sie hielten also die Technik für den Verursacher sozialer Probleme. 1812 wurde Maschinensturm mit der Todesstrafe belegt. Ist an Armut, Lohnkürzungen und Arbeitslosigkeit, die klar in einem Technikzusammenhang stehen, die Technik selbst Schuld oder ihre gesellschaftliche Einbettung? Marx meinte zum Maschinensturm: "Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen gesellschaftliche Exploitationsform übertragen lernt" ([Marx1867], S. 373).

Technik und Gesellschaft stehen in einem dialektischen Verhältnis, es bestehen wechselseitige Abhängigkeiten und Wechselwirkungen. Technik kann auf einer Mikroebene als Teilsystem der Gesellschaft (Makroebene) gesehen werden. Die Wirkung der Gesellschaft auf die Technik besteht darin, daß der Mensch die Technik gestalten kann und über den Technikeinsatz und dessen Form entscheidet. Da die Technik auf die Gesellschaft rückwirkt, entstehen soziale Auswirkungen des Technikeinsatzes. Diese sind nicht immer vorhersehbar, oft entstehen unerwünschte Folgen. Der Technikeinsatz kann gesellschaftliche Probleme, die als emergente Phänomene der Gesellschaft gesehen werden können, erzeugen.

Soziale Probleme, die durch den Einsatz von Technik verschärft werden, entspringen also nicht aus Eigenschaften der Technik selbst, sondern liegen in der Einbettung der Technik in die Gesellschaft begründet. Nicht die Technik schafft Arbeitslosigkeit, sondern ihre gesellschaftliche Anwendung als Mittel der Automatisierung. Nicht die I&K-Technologie schafft Probleme im Kontext der ökonomischen Globalisierung, sondern ihre gesellschaftliche Verwendung als Medium und Verstärker der Globalisierung trägt dazu bei. D.h. also, daß eine Technologie unter verschiedenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen völlig andere Auswirkungen haben kann. Wie sieht dies jedoch beispielsweise bei Kriegsmaschinerie, oder Kernenergie, also Technologien, die mit der prinzipiellen Assoziation negativer Auswirkungen verbunden sind, aus? Wer ist für die entsprechenden Folgewirkungen verantwortlich? Gesellschaft oder Technik?

Die Anwendung von Kriegsmaschinerie ist verantwortlich für den Tod von Menschen. Eine "positive" Verwendung ist also gar nicht möglich. Trotzdem muß gesagt werden, daß sich die Gesellschaft diese Technologien selbst schafft, es liegt in ihrem Ermessen, ob in Zukunft vollständig darauf verzichtet wird oder nicht. Es ist auch eine Frage der gesellschaftlichen Machtverteilung von Interessensgruppen, ob eine einmal als "gefährlich" erkannte Technologie tatsächlich weiter verwendet wird oder nicht. Tatsächlich sind die Folgen des Technikeinsatzes in manchen Fällen nicht vollständig abschätzbar. Es kann z.B. heute nur erahnt werden, welche emergenten Phänomene die Ausdehnung des Einsatzes der Gentechnologie hätte. Dieser Einwand gilt jedoch nicht für die Kriegsmaschinerie, die auf Grund ihres Zerstörungscharakters keine positive Verwendung haben kann. Die Vision des Friedens wäre daher nur unter dem Verzicht des Einsatzes und der Erzeugung von Kriegstechnologie realisierbar. Eine friedliche Gesellschaft ist jedoch nicht nur abhängig von einem solchen Verzicht, sondern auch von der Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, die heute zu immer neuen Auseinandersetzungen führen.

Die Informationsgesellschaft ist also anscheinend mit gesellschaftlichen Problemen konfrontiert, die mit der Anwendung von Technik verbunden sind. Heißt das nun, daß ein Technikeinsatz, der den Menschen das Leben vereinfacht, nicht möglich ist? Bedeutet der Einsatz von Technik prinzipiell Not und Armut? Diese Fragen sollen jetzt geklärt werden.

Die Auswirkungen des Technikeinsatzes unter bestehenden gesellschaftlichen Bedingungen

Es ist möglich, zwei Arten des Einsatzes von Technik in der nahen Zukunft zu identifizieren:

1. Unter unveränderten Rahmenbedingungen werden die Unterschiede zwischen einer qualifizierten Elite von ArbeiterInnen und Arbeitslosen sowie zwischen Arm und Reich weiter wachsen. Die soziale Kluft wird sich einerseits in der Nord-Süd-Richtung verstärken, d.h. ein Wohlstandstransfer von kapitalistischem Zentrum in die Peripherie bleibt aus und kehrt sich noch stärker als bisher um. Andererseits wird sich die soziale Kluft auch in den kapitalistischen Metropolen weiter verschärfen: Eine kleine, herrschende, reiche Elite und eine arme Masse, die vom Wohlstand ausgeschlossen bleibt. Technik trägt über die Verstärkung des Rationalisierungspotentials und die permanente Steigerung der Produktivität wesentlich zu einer derartigen Entwicklung bei: Die gesellschaftlich notwendige Arbeit, die durch den Menschen zu verrichten ist, nimmt ab, da es aber zu keiner gesamtgesellschaftlichen Gleichverteilung des Wohlstandes und der zu leistenden Arbeit kommt, nimmt das Heer der "industriellen Reservearmee" und damit die Armut dramatisch zu.

Postkapitalistischer Technikeinsatz und die Aufhebung der Lohnarbeit

2. Es ist aber auch ein emanzipatorischer Nutzen aus Robotern, Automatisierung, I&K-Technologien, Vernetzung und Computern vorstellbar: Vorstellbar ist, daß die durch den Menschen zu verrichtende gesellschaftlich notwendige Arbeit auf ein Minimum reduziert wird, indem der massive Einsatz solcher Mittel den Faktor menschliche Arbeit entlastet. Eine vollständige Automatisierung kann es dabei jedoch niemals geben, da beispielsweise unvorstellbar ist, daß soziale Tätigkeiten von Maschinen übernommen werden. Wenn es keine zwei Klassen von GewinnerInnen und VerliererInnen der Automatisierung gibt und alle gleichermaßen von der maschinellen Tätigkeit profitieren können, so erscheint eine solche Vorstellung realisierbar. Derzeit führt die digitale Revolution zur Zunahme der sozialen Kluft und damit zur Verstärkung gesellschaftlicher Spannungen, eine Dichotomie zwischen hochqualifizierten techno-wissenschaflichen ArbeiterInnen als High Tech-GewinnerInnen und immer mehr unter prekären Umständen lebenden ArbeiterInnen als VerliererInnen der digitalen Revolution manifestiert sich immer deutlicher.

Derzeit bedeutet Arbeit im wesentlichen Lohnarbeit, sie ist eine wertbildende Tätigkeit. Es ist ein bestehender gesellschaftlicher Zwang, daß Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen und damit Mehrwert produzieren bzw. dazu notwendige Rahmenbedingungen (z.B. als techno-wissenschaftliche ArbeiterInnen) gestalten. Eine der ersten Fragen, wenn man/frau jemanden kennenlernt, ist meist: "Was machst du?". Und das vermittelt, daß jemand nur als gesellschaftlich akzeptabel gilt, wenn er/sie einen "anständigen" Job hat und daß wir derart sozialisiert werden, daß wir die Lohnarbeit als eine Notwendigkeit betrachten. Das Nachdenken über Alternativen dazu kommt den Menschen entweder nicht einmal in den Sinn oder es wird als ein Hirngespinst abgetan. Die Arbeit ist nicht nur bürgerlicher Fetisch, sondern sie wurde auch zu einem Ideal der Arbeiterbewegung und des sogenannten "Realsozialismus". Erwartet wurde, daß ArbeiterInnen freiwillig hart für den Nutzen der Gemeinschaft arbeitet. Der Kommunismus war also Arbeitsgesellschaft, nicht die Befreiung der Gesellschaft von der Lohnarbeit, sondern die Befreiung der Lohnarbeit aus ihren kapitalistischen Fesseln stand im Vordergrund.

Und auch heute lautet eine der zentralsten und häufigsten Ankündigungen von PolitikerInnen, daß sie Arbeit schaffen und Vollbeschäftigung garantieren werden. Mit der permanenten Steigerung der Produktivität durch die digitale Revolution entwickelt sich die organische Zusammensetzung des Kapitals immer mehr zugunsten des konstanten Kapitals. Immer weniger Arbeitende werden benötigt, um immer schneller Waren herzustellen. Die Rate des Mehrwerts steigt, indem weniger Arbeiter beschäftigt werden und die Arbeit durch Technikeinsatz intensiviert wird. Der konstante Anteil des Kapitals steigt dazu also relativ zum variablen. Wie diese Ankündigung also realisiert werden soll, wenn die Arbeit tatsächlich immer weniger wird und der Staat im Neoliberalismus zum nationalen Wettbewerbsstaat wird, erscheint ein Rätsel. Die Arbeit wird immer weniger, im Kapitalismus hat dies fatale Folgen. Dies erkannte auch Marx: Die Maschinerie sei das gewaltigste Mittel, um "die zur Produktion einer Ware nötige Arbeitszeit zu verkürzen" ([Marx1867], S. 347), die Auswirkungen des Technikeinsatzes bestimmen sich jedoch aus dem Verhältnis von Technik und Gesellschaft, also den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Technikeinsatzes: "Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie untrennbaren Widersprüche und Antagonismen existieren nicht, weil sie nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer kapitalistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet die Arbeitszeit verkürzt, während sie kapitalistisch angewandt den Arbeitstag verlängert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch angewandt ihre Intensität steigert, an sich ein Sieg des Menschen über die Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch angewandt ihn verpaupert usw., erklärt der bürgerliche Ökonom einfach, das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daß alle jene handgreiflichen Widersprüche bloßer Schein der gemeinen Wirklichkeit, aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind" ([Marx1867], S. 385).

Dem Argument, daß eine höhere Produktivität tendenziell mehr Arbeitslose schafft, wird oft entgegengehalten, daß durch Technikeinsatz auch neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Schon in der klassischen Ökonomie meinte beispielsweise David Ricardo, daß Technik zwar Arbeitslosigkeit schaffen kann, diese sei jedoch nur ein Übergangsphänomen, da es durch eine gesteigerte Produktivität zu einer Langzeitkompensation käme. Auch klassische bürgerliche Ökonomen wie MacCulloch oder Senior meinten, daß eine durch Maschinerie verursachte Arbeitslosigkeit nur vorübergehend sein könne, da durch die Anwendung der Maschinen neue Arbeitsplätze geschaffen würden, die eine vollständige Absorption der freigesetzten Arbeiter in der Arbeitsmarkt erlaubten. An diesen Kompensationstheorien kann kritisiert werden, daß die Freisetzung von Arbeitenden bedeutet, daß aus KäuferInnen NichtkäuferInnen in gewissen Bereichen werden, da sie weniger Geld zur Verfügung haben. Die Nachfrage in diesen Bereichen wird also vermindert, die Profitraten sinken und es kommt zu weiteren Entlassungen. In einer solchen Situation führt also Arbeitslosigkeit zu noch mehr Arbeitslosigkeit. Eine einfache Kompensation kann m.E. auch deshalb nicht möglich sein, da die freigesetzen Arbeitenden sehr unwahrscheinlich die Kompetenzen haben, die für neu geschaffene Arbeitsplätze notwendig sind. Dies ist eine Frage der Qualifikation, in der derzeitigen Situation gibt es vor allem neue Arbeitsplätze im hochqualifizierten techno-wissenschaftlichen Bereich (ProgrammiererInnen, SystemanalytikerInnen, Multimediajobs, usw.), während unqualifizierte und niedrig qualifizierte Arbeiten Opfer der Rationalisierung sind. Technikeinsatz erzeugt zwar eine Arbeitszunahme, Marx meint dazu jedoch beispielsweise (Vgl. den Abschnitt über Kompensationstheorien im 13. Kapitel des 1. Bandes des Kapitals, [Marx1867], S. 381ff), daß diese immer kleiner sei als die durch die Anwendung bewirkte Arbeitsabnahme. Durch den Maschinenbetrieb wächst die Maschinenindustrie, ihr Wachstum hängt jedoch vom Verhältnis ihres konstanten und variablen Kapitals zu diesen Kapitalteilen in jenen Bereichen, die die Maschinen verwenden, ab. Ein Beispiel: P1 sei der maschinenproduzierender Bereich, P2 der maschinenanwendende. c1, c2, v1, v2 sind die enstprechenden Kapitalteile in P1 bzw. P2, m1 und m2 die Mehrwerte der Maschine als erzeugte Ware in P1 bzw. einer durch diese Maschine in P2 erzeugten Ware. w1 = c1 + v1 + m1, w2 = c2 + v2 + m2. v1 wird auf Grund des Kapitalwachstums wachsen, v2 relativ sinken (Maschinenanwendung reduziert v relativ zu c). Steigt v1 jedoch zu stark, so werden die Kapitalisten in P2 die Maschine aus P1 nicht kaufen, da sonst c2 derart steigt, daß es günstiger ist, die bisher beschäftigten Arbeiter weiter zu beschäftigen.

Nicht "Hoch die Arbeit" und "Recht auf Arbeit" müssen die Devisen lauten, als Möglichkeit erscheint auch die konsequente Reduzierung der durch menschliche Hand zu verrichtenden, gesellschaftlich notwendigen Arbeit und durchwegs das "Recht auf Faulheit" ([LaFargue1887]). Aber nicht im Sinne eines prinzipiellen Nichtstuns, sondern im Sinn einer Ausweitung der Freizeit. Dazu erscheint jedoch die Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine Notwendigkeit: die bestehende Wertform der Arbeit als Quelle der Produktion von Mehrwert, die Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche mit dem Konkurrenzprinzip, das Profitprinzip, die Produktion nach reinen Profitinteressen fernab vom gesellschaftlichen Bedarf, eine asymmetrische Verteilung von Macht und Eigentum und das Lohnarbeitsprinzip scheinen dieser Veränderung im Weg zu stehen und müßten einer Gleichverteilung von Macht, Wohlstand und Eigentum sowie einer Aufhebung von Lohnarbeit, Konkurrenz, Profitprinzip und der Warenform zu einer Form der Gesellschaft, in der jedeR nach seinen/ihren Bedürfnissen bekommt und nach seinen/ihren Fähigkeiten arbeitet und in der die Produktion auf Basis kurzfristiger Bedarfserhebungen organsiert ist, weichen.

Unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen erscheint also das Verhältnis von Technik und Gesellschaft so gestaltbar, daß dessen derzeitige gesellschaftliche Effekte - wobei es sich im wesentlichen um die Verschärfung globaler Probleme wie Armut und Arbeitslosigkeit handelt - aufgehoben werden. Dazu erscheint nicht die Schaffung von Lohnarbeit nötig, sondern ihre Abschaffung. Eine veränderte Produktionsweise unter der Zuhilfenahme von I&K-Technologien wäre in einer postkapitalistischen Gesellschaftsformation prinzipiell vorstellbar. Wie könnte sie aussehen?

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