Zurück zum Inhaltsverzeichnis der Ausgabe 14

KALASCHNIKOW
Das Politmagazin


Anmerkungen zu Robert Kurz

Abstrakte Arbeit und Sozialismus

I. Der Ansatz der „Erlanger Wertkritiker“versucht über eine Kritik des traditionellen Marxismus eine politische Perspektive revolutionärer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse freizuschaufeln, indem er darauf insistiert, daß der „sozialistische“ Planstaat mit diesen wesentliche Momente teilt: Warenproduktion und Geldwirtschaft. Dies jedoch nicht nur wegen der zwangsläufigen Dynamik einer „nachholenden Entfaltung der Wertvergesellschaftung“ (3), sondern auch wegen einer spezifischen Umdeutung der Marxschen Theorie von einer Kritik der politischen Ökonomie zu einer sozialistischen Wertlehre, die die Leninisten zu den geeigneten Trägern des absurden Projekts einer „sozialistischen Kapitalakkumulation“ habe werden lassen. (4)
Zurecht wird darauf hingewiesen, daß die Ohnmacht „marxistischer“ Kritik gegenüber der perennierenden Durchsetzung des Kapitalismus, gerade auch angesichts des Desasters der planstaatlichen Ökonomien, einhergeht mit der Nichtrezeption der Wertproblematik im traditionellen Marxismus, von welchem Namen sich die Erlanger dann auch konsequenterweise verabschieden. (5)
Für ihr Verständnis dieser Problematik und für ihre Ineinssetzung von Kapitalismus und „Wertvergesellschaftung“ hat der Aufsatz von Robert Kurz aus dem Jahre 1987 offenbar paradigmatische Bedeutung. Kurz macht hier die Ignoranz des traditionellen Marxismus, d.h. zunächst des Marxismus der Sozialdemokraten vor dem Ersten Weltkrieg (Kautsky), am Paradigma der wertschaffenden Arbeit fest. Nach Kurz führt dies entweder zu der Bornierung eines Genossenschaftssozialismus, der auf dem Recht auf den vollen Arbeitsertrag insistiert, oder zu der absurden Idee der „Anwendung“ des Wertgesetzes als Allokationsmechanismus qua Planstaat. (6)
In der Tat hat sich die arbeitsmetaphysische Deutung der Marxschen Argumentation zum Arbeitswert als politisch verhängnisvoll erwiesen. Hier ist zunächst in Erinnerung zu rufen, daß Marx keineswegs als Schöpfer einer Arbeitswerttheorie zu verstehen ist, was ihm von seiten seiner ökonomischen Rezipienten auch häufig den Plagiatsvorwurf eingebracht hat, sondern, daß ein wesentlicher Ansatzpunkt seiner Überlegungen das Auseinanderfallen der Vorstellungen von einem „objektiven „Arbeits“wert und einem relativen Wert bei jenen nationalökonomischen Autoren ist, mit denen er sich auseinandersetzt, nämlich vor allem Smith und Ricardo. Zentral für ein Verständnis des Marxschen Umgangs mit dem „Arbeitswert“ ist seine Proudhon-Kritik, die auf die Unmöglichkeit des Versuchs zielt, die Arbeitszeit unmittelbar zum Maß der Werte zu machen. Entsprechende Ansätze müssen stets scheitern, wenn sie praktisch werden wollen.
Kurz verweist hier zurecht auf das Desaster des Kriegskommunismus. Eine andere politische Konsequenz affirmativer Vorstellungen von „wertschaffender Arbeit“ ist eine Idealisierung des Proletariats, ein asketischer Moralismus und in Reaktion darauf der „Abschied vom Proletariat“, eine Lehre, die bereits von mehreren Generationen politischer Aktivisten dieser Lesart gezogen wurde.
Einleuchtend ist auch an Kurz’ Argumentation, daß die Rede vom Recht auf den vollen Arbeitsertrag Ausbeutung auf die Vorstellung eines letztendlich personalen Herrschaftsverhältnis zurückführt, auf Raub und Betrug, und damit weder kapitalistische Vergesellschaftung noch Historie in den Blick kommt. Dies trifft auch die häufigen Versuche, „Gesellschaftsformationen“ nach den jeweiligen Formen der Aneignung oder der Verteilung des Mehrprodukts zu unterscheiden.
Insgesamt teilen wir die Ansicht, daß eine Kritik des traditionellen Marxismus unumgänglich ist, will man überhaupt an einer Perspektive auf eine Überwindung des Kapitalismus festhalten, und zwar gerade eine Kritik, die den westlichen Marxismus miteinbezieht. Auch teilen wir die Einschätzung, die bei Kurz in dem immer wieder hervorgehobenen Satz Lenins sich präsentiert, daß nämlich ein Verständnis der Hegelschen Philosophie für das Begreifen der Kritik der politischen Ökonomie unabdingbar sei. Offenbar ist es bisher allenthalben bei diesem Satz geblieben.

II. Unsere Kritik an Robert Kurz bezieht sich in erster Linie auf sein mangelndes Verständnis der Darstellung der Kritik der politischen Ökonomie, d.h. vor allem der Bedeutung des Gangs der Darstellung mitsamt seiner erkenntnistheoretischen und methodischen Implikate.
Ein erstes zentrales Problem scheint uns die Beschränkung der Argumentation auf Fragen der Werttheorie, die dann zur Ineinssetzung von „Wertvergesellschaftung“ und kapitalistischer Vergesellschaftung führt und u.E. politisch in eben jene Dilemmata zurück, die die Kritik des traditionellen Marxismus hinter sich lassen wollte.
Es versteht sich von selbst, daß von Wert nur geredet werden kann unter der Voraussetzung kapitalistischer Vrehältnisse. Aber mit dem Wertbegriff ist bekanntlich der des Kapitals noch nicht entwickelt und die Rede von Vergesellschaftung beansprucht ja, den wesentlichen Zusammenhang gesellschaftlicher Verhältnisse zu bezeichnen. Die Frage ist, inwiefern dies der Wertbegriff zu leisten vermag. Gerade, wenn man Marx als Kritiker der politischen Ökonomie liest, zeigt sich, daß der Aufbau seiner Argumentation immer auch Destruktion der mit den ökonomischen Kategorien gesetzten Vorstellungen ist. Der Begriff des Werts erweist sich als unzulänglich ohne den Begriff des Geldes. Die Bestimmungen des Geldes erweisen sich als widersprüchlich ohne den Begriff des Kapitals. Die Vorstellung vom Kapital als automatischem Subjekt erweist sich als metaphysisch ohne die des unmittelbaren Produktionsprozesses. Dieser macht als kapitalistischer nur einen Sinn im Zusammenhang des Verwertungsprozesses. Dieser ist nur zu begreifen im Zusammenhang des Verhältnisses der vielen Kapitale, der Kreisläufe der verschiedenen Formen des Kapitals, der Konkurrenz, der Bestimmungen der Profitrate, der Grundrente, des Zinses etc.
Der Vorwurf zielt nicht darauf, hier eine vollständige Darstellung der Marxschen Ökonomiekritik einzufordern, sondern darauf, daß Kurz den Anschein erweckt, mit der Explikation von Wert und Tauschwert sei das Problem erledigt. An der Beseitigung des Werts, also der Abschaffung von Warenproduktion und Geld, sind die Bolschewiki nicht nur gescheitert, weil sie die umgebende historische Realität verkannten und affirmative Vorstellungen vom Arbeitswert hatten, sondern vor allem, weil sie überhaupt keinen Begriff von jenem Kapitalismus hatten, den sie abschaffen wollten.
Die Fixierung auf eine Vorstellung von Wertvergesellschaftung, für die dann konsequenterweise der Wert zur „negativen Potenz“ wird, scheint nicht nur eine Kette von Fehldeutungen des Marxschen Textes, von Fehlschlüssen und von fatalen politischen Konsequenzen nach sich zu ziehen, sie führt auch zu einem falschen Verständnis des Wertbegriffs selbst.

III. Der zurecht unterstellten wertkritischen Dimension des Wertbegriffs bei Marx versucht Kurz auf die Spur zu kommen, indem er eine, seiner Meinung nach bei Marx unzureichend vorgenommene Trennung ins Zentrum seiner Argumentation stellt: Er unterscheidet „zwei Ebenen des Wertformbegriffs“ und zwei Schritte der „Ableitung“ in zwei Richtungen:
1. Rückwärts vom Wert zur Arbeit und
2. vorwärts vom Wert zum Tauschwert.
Diese Aufteilung soll helfen, die Vorstellung des traditionellen Marxismus zu überwinden, daß es nur der blinde Marktmechanismus sei, der die Verwirklichung der „wahren“ Arbeitswerte unmöglich mache, daß also das Problem nur eines der Zirkulation sei. Zurecht verweist Kurz auf die Unverträglichkeit dieser Vorstellung mit der vom Wertgesetz, das ja gleichzeitig die Arbeitswerte in seiner Funktion der Regulierung der Marktmechanismen zur Geltung bringen soll. Richtig wird Wertgesetz und Begriff des Werts auseinandergehalten. Beide Begriffe werden allerdings problematisch gefaßt.
Nach Kurz bestimmt das Wertgesetz die Ressourcenallokation als „indirekte Form gesellschaftlicher Regulierung“, als Modus der Verteilung von Arbeitskraft und Produktionsmitteln. Der Markt ist seine „zentrale Instanz“. Die Anarchie des Marktes läßt sich so „als das wirkliche Dasein des Wertes selber“ begreifen. (7)
Das eigentliche Verständnis vom Wert präsentiert sich folgendermaßen:
Arbeit wird als Inhalt eines Werts verstanden, der selber Inhalt des Tauschwerts sei, so wie also der Wert die Form der Arbeit, so der Tauschwert die Form des Werts. Der Tauschwert soll erscheinende Qualität, Form einer Form sein. (8) Als Form der Arbeit erhalten wir so den Wert in „erster Potenz“, als Tauschwert in „zweiter Potenz“.
Diese Konstruktion wird folgendermaßen begründet: Der Arbeitswert in der Ware sei als abstrakte Wertgegenständlichkeit der Ware der Tauschrelation allemal vorausgesetzt. (9) Wert sei dingliches Abstraktum. Der Tauschwert hingegen bedeute Tauschrelation der Waren. (10)
Zunächst bekommt die Bestimung des Werts auch durch die Arbeit bei Kurz deswegen eine eigentümliche Färbung, weil er von der Geltung subjektiv-physiologischer Mühe als Arbeit durch alle Zeiten hindurch ausgeht. Dabei unterstellt er offenbar die universelle Geltung des modernen, räumlich und quantitativ bestimmten Zeitbegriffs, ebenso wie eine darauf basierende Ökonomie der Zeit. (11) Daß alle Gesellschaften Arbeitszeit für Arbeitsprodukte aufwenden, diese auch von Marx hervorgehobene Tatsache, verstellt hier den Blick auf das Problem. Wert hat das Arbeitsprodukt nur als Ware und nicht die individuell aufgewandte Arbeitszeit ist sein Maß. Owohl Kurz darum weiß und an anderer Stelle sich gegen Smith’ Auffassung von Wert und Ware als ewigen Naturnotwendigkeiten wendet (12), ja selbst bei Marx meint, entsprechende Vorstellungen zu finden und inkriminieren zu müssen, baut seine eigene Argumentation auf einer Konstrruktion von überhistorischer Zeitökonomie auf, die geradewegs zu Smith zurückführt. (13)
Die subjektiv quantifizierte Zeit, der Smithsche Arbeitsaufwand, stelle sich in der Warenproduktin dar als „Form des Werts“ oder „Wertgegenständlichkeit des Produkts“, die in einer einzelnen Ware logisch vor der Tauschrelation existiere. Die Wertbestimmung wird also gefaßt als „überhistorische Tatsache und Notwendigkeit der lebendigen Arbeit als physiologischer Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im natürlichen Maß der Zeit“. (14)
Die Problematik dieser Konstruktion liegt hier nicht nur darin, daß gegen die eigene Intention bei der Bestimmung der Arbeit als Wertsubstanz von einem unhistorischen Zeitbegriff ausgegangen wird15, sondern darin, daß hier vergessen scheint, daß die lebendige Arbeit sich eben nicht als Wert ausdrückt, sie produziert ein Produkt.
So erscheinen in der Tat die verschiedenen Formen des Wertausdrucks erst mit dem Austausch. Erst als Ware, also als Produkt für den Austausch, erhält das Produkt einen Tauschwert, den es allerdings u.a. nur dann realisieren kann, wenn es sich auch als Gebrauchswert, d.h. als nützlich erweist. Die Vorstellung vom Tauschwert zweier sich im Austausch gegenübertretenden Waren erweist sich aber als „unmögliche Form“, sie setzt das Geld voraus. Dies ist das Geheimnis der Wertformanalyse, wie es Backhaus, auf den sich Kurz ja beruft, zu entschlüsseln versucht hat: als Kritik prämonetärer Werttheorien. (16)

IV. Eine weitere Schwierigkeiten mit dem Wertbegriff „erster Potenz“ ergibt sich aus dessen qualitativer Bestimmung als „‘Vergegenständlichung’ von Arbeit“. (17) In Anlehnung an Lukács (18) wird hier versucht, Vergegenständlichung und Verdinglichung zu identifizieren. In der Tat stellen sich die „Probleme der Verdinglichung“ nicht erst „auf der Ebene der Tauschrelation“, man kann auch sagen: noch nicht, wenn der kapitalistische Produktionsprozeß gemeint ist. Aber hier geht es eher um das Problem der Ware als „Wertding“. (19) Kurz kann Ware und Wertgegenständlichkeit identifizieren, da ihm die „Gegenständlichkeit“ der Arbeit in der Ware als „Gallerte“ erscheint. Andererseits weiß er um die natürlichen und historischen Besonderheiten lebendiger Arbeit. Daher soll jetzt abstrakte Arbeit bloße Formbestimmung, „gesellschaftliche Allgemeinheit“ sein. (20) Die „Wertgegen- ständlichkeit“ ist also ihrer Gegenständlichkeit wieder verlustig gegangen. Damit kann die Warenwelt der Welt der Abstrakta entgegengesetzt werden und das Geld als Inkarnation abstrakter Allgemeinheit als gesellschaftliches Medium auftreten. (21)
Der Fehler liegt hier in der Identifikation der Nützlichkeit mit der Sinnlichkeit, beider mit dem Konkreten und aller drei mit der Ware, die dann das ihr gegenübertretende Geld als abstrakt ungegenständlichen Bezug erscheinen läßt und überhaupt nicht mehr einsichtig macht, wieso die Wertgegenständlichkeit gerade als Geld auftreten muß.
Muster der Interpretation ist der Gegensatz Besonderes Allgemeines, wie ihn die Kritische Theorie verwandt hatte, und wie er in der Studentenbewegung zur romantischen Apotheose des „Gebrauchswerts“ verkam. Dies geht einher mit der Zusschreibung einer subsumptiven Kraft des Abstrakten wie sie sich bei Kurz in der Rede von der negativen Potenz des Werts repräsentiert.

Die Geister, die ich rief ...

Deutlich wird dies an dem Umgang mit dem Problem des Warenfetischismus. Kurz bezieht sich hier teilweise kritisch auf Sohn-Rethels Begriff der Realabstraktion. U.E. nach greift seine Kritik aber zu kurz, was sich vor allem an der Übernahme von Sohn-Rethels prämonetären Verständnis des Austauschprozesses und seinem individualisierend handlungstheoretischen Verständnis vom Tauschakt zeigt. Dies entspricht dem Modell der „einfachen Warenproduktion“, wie es über Engels in die marxistische Orthodoxie eingewandert ist.
Im Kontext des Modells einfacher Warenproduktion (22) wird die Ware mit Wertgegenständlichkeit identifiziert. Es findet auf Basis der Trennung von Produktion und Konsumtion eine Entgegensetzung von abstrakter Arbeit als abstraktifizierter, entfremdeter gegen konkrete, nützliche Tätigkeit, d.h. lebendige Arbeit (23) statt. Abstrakte Arbeit wird dabei nachdem Muster von Tauschabstraktion interpretiert. (24) Die Verdoppelung der ökonomischen Struktur soll sich darstellen als die von Inhalt und Form, als Arbeit und Wert, die als auseinanderfallend gedacht sind. Der Wert als Gedankending (25) sei eine Abstraktion und sei bezogen auf die Form des Materiellen, die Arbeit. (26) Der Wert sei zu denken als Hieroglyphe, als abstraktes Zeichen gesellschaftlicher Arbeit. (27) Die Hieroglyphe des Werts sei nur durch Arbeit reproduzierbar. (28) Damit lasse sich also festhalten: „Der Wert ist reine gesellschaftliche Formabstraktion“. (29) Konkreter bestimmt bedeutet dies: Der Wert ist „als gesellschaftlich fiktionale ... abstrakte Gegenständlichkeit fiktiv geronnene Arbeit bzw. Arbeitszeit“. (30) Die Wertsubstanz hingegen sei nicht bloßes Zeichen, weil hier wirklich Arbeit aufgewandt worden sei.31 Insofern also der Wert in einem Verweisungsverhältnis zum materiellen Prozeß stehe, sei er nicht nur Gedankending. Mit Sohn-Rethel wird hier auf die Realabstraktion als „Be-handlung des Produkts als Wertding“, als gesellschaftlich-objekives rekurriert. (32) Materialität erfährt hier nun eine Ausweitung. Selbst „das Verhältnis der Produzenten untereinander, die objektiv zugrundeliegende gesellschaftliche Arbeitsteilung und auch ihre reale Beziehung aufeinander in der Zirkulationssphäre (sei) ein materielles Verhältnis.“33 Als Fazit ergibt sich also, daß die Ökonomie dem Inhalt nach materiell, der Form nach aber die Beziehungen der Arbeiten aufeinander abstrakt seien. Zugleich aber soll diese abstrakte Form des Werts ein soziales Gedankending sein (34), womit sie zu einem sozialen Apriori wird. Kurz schwankt ständig zwischen der Postulierung von Gegenständlichkeit und der abstrakten Formbestimmtheit, ohne den Ort dieser Bestimmungen konkret festmachen zu können und deren Vermittlungen darstellen zu können. Dies wird besonders deutlich, wo er den Fetischbegriff über der Kritik der politischen Ökonomie äußerliche Analogien (sexueller Fetischismus) zu explizieren versucht und daran die Vorstellung von Tauschhandlung und Geld koppelt, als ob der Wert nur Macht über die Individuen hätte, weil sie an ihn glaubten und sich entsprechend verhielten. Geld wird dann letztlich nominalistisch aufgefaßt und es kann so aufgefaßt werden, weil das Mysterium immer schon stattgefunden hat, daß nämlich die Arbeit die Wertgegenständlichkeit produziert hat.
Kurz’ Konstruktion fällt also auseinander in eine Vorstellung vom Arbeitswert als Produkt lebendiger Arbeit, als Gegenstand, und eine Vorstellung vom Wert als Abstrakt-Allgemeinen,der sich letztlich als Norm- orientierung der Zirkulationsagenten präsentiert. Die Revolution bestünde dann nur im Wechsel des normativen Paradigmas: „Einfach nicht mehr daran glauben!“
In diesem Sinne kann Kurz auch jetzt noch behaupten: „Es kommt diesen ‘sozialistischen’ Markt-Ideologen nicht einmal im Traum in den Sinn, daß Begriffe wie Effizienz, Sparsamkeit, Allokation der Ressourcen usw. auch jenseits der fetischistischen Basisformen denkbar und realisierbar seien, ja auf der Ebene der sinnlich-stofflichen Reproduktion und ihrer Vernetzungsstrukturen überhaupt erst einen vernünftigen Gehalt bekommen könnten? ... Daß also die allseitigen abstrakten, zerstörerischen ‘Trennungen’ des fetischistischen Geldnexus beseitigt werden?“ (35)
Damit kehrt Kurz zu seiner anfänglichen Bestimmung des Wertgesetzes zurück, als Modus der Verteilung von Ressourcen, dessen zentrale Instanz schließlich doch der Markt ist. Mit seiner Konstruktion einer doppelten Wertform aber sollte die Wertbestimmung in ihrem Bezug einerseits auf die Produktion, andererseits auf die Zirkulation vermittelt werden. Beide Bezüge sind hier offenbar wieder auseinandergetreten, wie bei Smith und Ricardo. Dies hängt damit zusammen, daß Kurz eben nicht die Marxsche Argumentation zur kapitalistischen Produktion und Zirkulation nachvollzieht, sondern, wie Marxens Vorläufer und mit ihnen Engels und die vielgeschmähten „Marxisten“, letztlich an einem Modell einfacher Warenproduktion festhält, deren Crux ja gerade darin besteht, daß auf seiner Grundlage Zirkulation als schlecht unendlicher Proozeß erscheint, der der Produktion äußerlich bleibt.
Um Mißverständnissen vorzubeugen: Nicht, daß die Intention auf Aufhebung des „Geldnexus“ aufzugeben sei, wird hier behauptet, sondern, daß die Fixierungen auf jene Trennungen diejenigen Vermittlungen nicht begreifen kann, die das Kapitalverhältnis voraussetzt und wie immer auch krisenhaft - produziert, und daher zurückfällt in jenen Dichotomismus, wie er für religiöse Bewegungen kennzeichnend ist und notwendig einhergeht mit der Reproduktion der „alten Scheiße“.
Um die Revolution auf die Tagesordnung zu setzen, genügt nicht allein Voluntarismus, man muß sich in Übereinstimmung wähnen mit historisch wirksamen Kräften. Dies leistet bei Kurz eine spezifische Historisierung des Verhältnisses historischer Formationen des Kapitalismus zum jeweiligen Horizont der Erkenntnis und der politischen Handlungsmöglichkeiten. Damit landet er bei einer spezifischen Variante des historischen Relativismus. So behauptet Kurz aus der Perspektive des Spätergeborenen, daß nicht nur „die Marxismen und Glaubenskriege ... sich historisch erklären und auflösen (ließen), sondern auch die Marxsche Theorie und ihr wertkritischer Kern“.36 Kurz zufolge erscheint Geschichte als lineare Entwicklung, deren einzelne Elemente immer zeitadäquat, das heißt, zeitfunktional gedacht sind. Alle Praxis erweist sich als gleich zeitnah zu Gott. Es wird ein Drei-Phasen-Schema ausgezeichnet. Für die ältere Phase gilt dann ein Handwerkermodell, der werteschaffende Arbeiter.37 Der Sozialismus dieser Phase bleibt orientiert am persönlichen Herrschaftsverhältnis und dem Gegensatz von Arm und Reich. Hiermit sei eine Verselbständigung des Klassenkampfes gesetzt, d.h. ein spezifischer Politizismus gehe damit einher. Die zweite Phase wird dann mit der Engelsschen Theoriebildung angesetzt. Hierbei wird richtig auf die Bedeutung der Kriegswirtschaft als vorbildlichem Organisationstypus für die Sozialdemokratie und den Bolschewismus hingewiesen, deren eine Folge der Staatssozialismus gewesen sei. Der Genossenschaftssozialismus läßt sich nun dem Handwerkermodell, die Staatswirtschaft dem Staatssozialismus zuordnen.38 Die dritte Stufe sei mit dem Fordismus und der mikroelektronischen Revolution erreicht, die eine ganz neue Qualität enthalte, die es allerdings erst zu dechiffrieren gelte. (39) Die kapitalistische Entwicklung stoße jetzt an absolute Grenze, die an den ökonomischen und ökologischen Krisen deutlich werde. Zudem verschwinde das Paradigma des werteschaffenden Arbeiters völlig.
Dies sei Resultat der Durchsetzung der reellen Subsumtion der Lohnarbeit unter das Kapital qua ihrer Verwissenschaftlichung. (40) Ohne hier auf das problematisch gefaßte Verhältnis von Kapital und Wissenschaft eingehen zu wollen, ist doch festzuhalten, daß das Kurzsche Geschichtsmodell mit dem Stalinschen Diamat einige Strukturanalogien aufweist. Nicht zufällig wird auch häufig auf abbildtheoretische Termini zurückgegriffen, vor allem bei der Referierung Sohn-Rethelscher Vorgaben. (41) Dazu fügt sich auch, daß, trotz abgrenzender Bemerkungen, Anleihen bei positivistischen Vorstellungen gemacht werden. (42) Dies verwundert wenig angesichts der durchgängigen erkenntistheoretischen und methodischen Unsicherheit, deutlich am beständigen Wechsel von Aussage- und Bezugsebenen und ihrer Kontamination: Aussagen über Theorien, Aussagen über „Realgeschichte“, Aussagen über Kategorien, Aussagen über gesellschaftliche Zusammenhänge, Aussagen über individuelle Handlungen. Erkennbar wird die Absicht eines ontologischen Zugriffs auf die Dinge und das, was die Welt im Innersten zusammenhält. Um so schlimmer, daß Marx seine Gesellschaftskritik als Theorie und Begriffskritik entwickelt und bei allem Wechsel der Aussageebenen und -bezüge dem sorgfältigen Leser diese durchsichtig macht. U.E. liegt die Tatsche, daß Kurz hier eher Verwirrung stiftet, nicht nur an Differenzen des intellektuellen Horizonts, sondern an einem, von dem Marxschen grundsätzlich verschiedenen Zugriff. Marx betreibt in der Tat, wenn man so will, „Wertkritik“, Kurz begnügt sich mit Versatzstücken von Werttheorien. Hier wäre es allerdings wichtig gewesen, bei Hegel in die Schule zu gehen, anstatt sein Werk als Steinbruch zu benutzen und sich mit einem unzureichend verstandenen Substanzbegriff (43) zu begnügen und mit einem ebenso unzureichenden Rekurs auf das Verhältnis von Abstraktem und konkretem Allgemeinen. (44) Gerade der unreflektierte Zugriff auf gleichlautende Begrifflichkeiten, ohne Rücksicht auf ihren Kontext, macht deutlich, daß Kurz der begriffskritische Ansatz von Hegel und auch der von Marx verstellt bleibt.
Es läßt sich vielleicht die Vermutung äußern, daß die Fehler und Schiefheiten dieser Interpretation nicht nur oberflächlicher Lektüre zu verdanken sind oder dem Versuch, die verschiedensten Theorieelemente zusammenzuzwingen.
Die Vorstellung von der doppelten Wertform kommt nur zustande über eine ontologisierende Fragestellung, nämlich die nach dem Wert als Basis des Aufbaus von Gesellschaft. Trotz Kritik an der Arbeitsmetaphysik kehrt sie zu dieser in verstärktem Maße zurück. Weil Arbeit und Zeitökonomie als überhistorische Notwendigkeit gelten und weil Arbeit als quantitattiv gedachte, individuell aufgewandte Mühe - wie bei Smith - gedacht ist, wird die Marxsche Theorie systematisch verfehlt. Methodische Probleme wie Probleme der Darstellung bleiben ebenso draußen.
Die Erlanger „Wertkritiker“ haben richtig erkannt, daß die Hilflosigkeit des traditionellen Marxismus vor allem in seiner mangelnden Kritikfähigkeit gegenüber den mit der kapitalistischen Gesellschaft einhergehenden Vorstellungen begründet ist. Politisch hat dies die theoretische Affirmation und die praktische Reproduktion der „fetischisierten Formen“ zur Folge.
U.E. scheint die Gruppe selbst dieser Tradition stärker anzuhängen als sie dies möchte. Augenfälligstes Zeichen ist, daß sie das Dilemma der Bolschewiki reproduziert, Warenproduktion und Geld abschaffen zu wollen, ohne zu wissen, was das Kapital ist. (45)

Allgemeine Kritikpunkte:

1. Phänomenismus
2. Marxismus-Leninismus
3. Bürgerliche Theorieelemente (Ökonomie)
4. Frühsozialismus - Ablösung vom Genossenschaftssozialismus nur nominell
5. Katastrophentheorie (Zusammenbruch) Grossmann.
Anmerkungen:

(1) Cf. Robert Kurz, Abstrakte Arbeit und Sozialismus. Zur Marx’schen Werttheorie und ihrer Geschichte, in: Marxistische Kritik Nr. 4, 2. Jg., Dez. 1987, p. 57-108.
(2( Dieser Aufsatz entstand, nachdem ein diesem vorausgehendes Papier von Diethard Behrens und Kornelia Hafner u.a. mit Thomas Gehrig und Thomas Schweier diskutiert und es ergänzt worden war. Ein Teil der Anregungen wurde aufgenommen. Es wurde dann als Gemeinschaftspapier in die Diskussion geworfen.
(3) Johanna W. Stahlmann, Die Quadratur des Kreises. Funktionsmechanismus und Zusammenbruch der sowjetischen Planökonomie, in: Krisis Nr. 8/9, 5. Jg., Mai 1990, p. 44
(4) ibid.
(5) Cf. Editorial, in: Krisis Nr. 8/9, l.c., p. 6.
(6) Cf. Johanna W. Stahlmann, Die Quadratur ..., l.c., p. 44.
(7) Robert Kurz, Abstrakte Arbeit ..., l.c., p. 59
(8) Cf. l.c., p. 62, 63.
(9) Cf. ibid.
(10) Cf. l.c., p. 64. Der Wert wird also als zwar abstrakter, aber dinglicher Gegen-stand gefaßt, der Tauschwert jedoch nach den Vorgaben subjektiver Werttheorie gedacht. Beides Momente der bürgerlichen Ökonomie. Vgl. die Bailey-Kritik von Marx.
(11) Cf. l.c., p. 63.
(12) Cf. l.c., p. 87.
(13) Cf. l.c., p. 63sq., 65.
(14) Cf. l.c., p. 64, 65.
(15) Cf. lc., p. 66.
(16) Daß sich Kurz hierauf nicht wirklich einläßt, wird sich später an seiner Einführung des Geldbegriffs zeigen. Daß er etwas Richtiges meint, wenn er darauf insistiert, es sei nicht die Zirkulation, in der der Wert entstehe, ist evident. Nur verweist dies eben auf den kapitalistischen Produktionsprozeß, auf das Verhältnis von Arbeits- und Verwertungsprozeß etc. Dies kann auf der Ebene der Wertformanalyse überhaupt noch nicht entwickelt werden, weil eben die Begriffe noch nicht entwickelt sind, die es erst ermöglichen, eine Vorstellung von kapitalistischer „Wertproduktion“ zu gewinnen. Der Versuch, vom Wert nach „hinten“ zu gehen, zu einer Vorstellung von Zeit und Arbeit überhaupt, landet notwendig in jenem gelobten Land bürgerlicher Ideologie, in dem es keine Geschichte gibt, in der der homo sapiens als einzelner Einzelner immer schon mit seiner Hände Arbeit Privateigentum produziert, also bei der in Marxens Spott über die Robinsonaden inkriminierten Handwerkermonade.
(17) ibid.
(18) Lukács sagt dort über seine Schrift „Geschichte und Klassenbewußtsein“ selbstkritisch: Es wird zwar versucht, alle ideologischen Phänomene aus ihrer ökonomischen Basis verständlich zu machen, aber die Ökonomie wird doch eingeengt, indem ihre marxistische Fundamentalkategorie, die Arbeit als Vermittler des Stoffwechsels der Gesellschaft mit der Natur aus ihr herausfällt. ... Daß die ontologische Objektivität der Natur, die die seins-mäßige Grundlage dieses Stoffwechsels bildet,verschwinden muß, versteht sich von selbst. Es verschwindet aber damit zugleich auch jene Wechselwirkung, die zwischen der echt materialistisch betrachteten Arbeit und der Entwicklung der arbeitenden Menschen obwaltet.“ Georg Lukács, Vorwort, in: Id., Werke Bd. 2: Frühschriften II: Geschichte und Klassenbewußtsein, Darmstadt-Neuwied 1977 (2°), p. 19
(19) Robert Kurz, Abstrakte Arbeit ..., l.c., p. 66
(20) Cf. l.c., p. 68sq.
(21) Cf. l.c., p. 73.
(22) Cf. l.c., p. 85, 99. Dieses Modell, wie es im der politischen Ökonomie und im Frühsozialismus spukt, war von Marx in seiner Proudhon-Kritik eingehend analysiert worden.
(23) Cf. l.c., p. 66.
(24) Cf. l.c., p. 77, 84.
(25) Cf. l.c., p. 95.
(26) Cf. l.c., p. 96.
(27) Cf. l.c., p. ibid.
(28) Cf. ibid.
(29) ibid.
(30) ibid.
(31) Cf. ibid.
(32) Cf. l.c., p. 97.
(33) ibid.
(34) Cf. ibid.
(35) Id., Aschermittwoch des Marxismus. Der Abgesang der Linken und die Kri-tik der politischen Ökonomie, in: Krisis Nr. 8/9, l.c., p. 115 - Kurz übersieht hier, daß er in seiner eigenen Theoriebildung sich in die Tradition von Proudhon bis Gesell einreiht, nur um die Erfahrung klüger, daß er kein Freigeld fordert.
(36) Id., Abstrakte Arbeit ..., l.c., p. 61
(37) Cf. l.c., p. 58.
(38) Cf. l.c., p. 60. Cf. auch die Modelle der Kritischen Theorie.
(39) Cf. ibid.
(40) Cf. l.c., p. 58.
(41) Cf. l.c., p. 79sq., 96, 97.
(42) Cf. l.c., p. 60. Dort findet sich der Bezug zu Steinvorth.
(43) Cf. l.c., p. 91.
(44) Cf. l.c., p. 70sq.
(45) Cf. die merkantilistische Deutung der gegenwärtigen Ostoffensive des bundes-republikanischen Kapitals bei Kurz. Cf. id., Deutschland einig Irtrtum. Die Wiedervereinigungsfalle und die Krise des warenproduzierenden Weltsystems, in: Krisis Nr. 8/9, l.c., p. 14sq.

  • Autorenkollektiv: Frankfurter Gruppe, F/M
    © Philosophischer Salon - Der Verlag
    Quelle: Kalaschnikow - Das Politmagazin
    Ausgabe 14, Heft 1/00, S. 51ff.

nach oben