Was ist Ontologie?

Von Ingwer Schwensen

datiert ca 95/96


Europäische Enzyklopädie:

Allgemein:

"Bezeichnung einer philosophischen Disziplin deren Objekt das Sein als (das) Sein ist. Oder: Die Lehre vom Sein (Seienden) insofern es (seiend) ist. Anders noch: die Lehre vom Seienden unter dem Gesichtspunkt des Seins. Im allgemeinen wird (also) gemeint: die Lehre vom Sein als solchem, d.h. als Seiendes."(615,2)


Zur Geschichte des Begriffs:

"Die Introduktion des Ausdrucks Ontologie spiegelt demnach eine sich allmählich durchsetzende Entwicklung wider: die zunehmende Spannung von Wissenschaft und Theologie bewirkt zunächst eine Spaltung in der Metaphysik [» Begriff extra klären!] als Totalitätskonzeption von Welt. "(616, 1)

"Es vollzieht sich in [der] Bestimmung der Ontologie (bereits) ein Umschlag: der als 'erste Philosophie' aufgefaßte Teil der Metaphysik erscheint ... als die eigentliche Fortsetzung der ´metaphysica generalis', und die 'theologia naturalis' wird jetzt auf einen Bestandteil der metaphysica specialis' reduziert." (616, 1)

"Diese 'ontologia' [als metaphysika generalis'] hat dann zur Aufgabe, >>durch begrifflich begründete Deduktion alle jene Bestimmungen (Prädikate) zu explizieren, die den Seienden als solchen zukommen können und die damit von höchster Allgemeinheit sind<< (Chr.Wolff: Philosophia prima sive Ontologia. Frankfurt/Leipzig 1730, 1736, Nachdruck 1962; §1)"

(616,2)

"Die von Aristoteles festgehaltene und zum Begriff gebrachte Einheit von Ontologie, als 'Wissenschaft der ersten Prinzipien des Seins als solchem', und 'Metaphysik', als 'Wissenschaft vom ersten und höchsten Seienden', ist somit zunächst zerstört. Damit scheint unbeabsichtigt Kants kritischer Destruktion der klassischen Metaphysik der Weg bereitet zu sein.

Im Lichte dieser - dogmatischen - Erscheinungsform nun wird die Ontologie von I. Kant rezipiert und fundamental kritisiert: als eine Disziplin, die ... 'sich anmaßt, von Dingen überhaupt synthetische Erkenntnisse a priori in einer systematischen Doktrin zu geben (Z.B. den Grundsatz der Kausalität)', während doch,'der Verstand a priori niemals mehr leisten könne, als die Form einer möglichen Erfahrung überhaupt zu antizipieren'. (Kant: Akademie ­Ausgabe; B873/A246)

Deshalb soll die Ontologie 'dem bescheidenen, einer blossen Analytik des reinen Verstandes, Platz machen'. (ebd.; B873/A845) Diese 'Wissenschaft von den allgemeinsten Begriffen und Grundsätzen aller natürlichen und sittlichen Dinge überhaupt, ohne Objekte anzunehmen, die gegeben wären' unterscheidet sich in nicht mißzuverstehender Weise von der Ontologie von Leibniz und Wolff: 'Sie berührt nicht das Übersinnliche, welches doch der Endzweck der Metaphysik ist, gehört also zu dieser nur als Propädeutik, als die Halle, oder Vorhof der eigentlichen Metaphysik, und wird Transzendentalphilosophie genannt, weil sie Bedingungen und ersten Elemente aller unserer Erkenntnis apriori enthält' (Kant, ebd.; 20/260). Mit dieser Verdeutlichung ... zerstört [Kantl zugleich auf radikal-kritische weise die 'ontologische Grundlage' der aristotehschen Metaphysik." (617, 1-2)

>>>heißt das nicht schon hier?, um eine Ontologie des gesellschaftlichen Seins überhaupt materialistisch sinnvoll denken und so gewinnen zu können, muß sie antikantianisch begründet werden, muß also den Gegensatz Idealismus-Materialismus klären und scharf konturieren, muß den Idealismus in sich aufheben, das Naturverhältnis thematisieren etc.?

Hegel geht es darum, die Metaphysik kritisch wiederherzustellen ..., um damit dem geistigen Leben des Volkes seine eigentliche Seele zurückzugeben: denn sonst: "schien das sonderbare Schauspiel herbeigeführt zu werden, ein gebildetes Volk ohne Metaphysik zu sehen, - wie einen sonst mannigfaltig ausgeschmückten Tempel ohne Allerheiligstes" (Hegel: Vorrede zur Wissenschaft der Logik; 4)..... Und zusammenfassend heißt es schließlich: 'Die Logik fällt daher mit der Metaphysik zusammen, der Wissenschaft der Dinge in Gedanken gefaßt, welche dafür galten, die Wesenheiten der Dinge auszudrücken.´“(Hegel: Heidelberger Enzyklopädie. 1830; §24) (617,2-618,1)


Zum gegenwärtigen Forschungsstand:

"Die problematische Lage der Ontologie in der Philosophie nach Hegel ist zum größten Teil dadurch gekennzeichnet, daß sie Hegels spekulativ-dialektische System-Konzeption ablehnt." (618,1) gilt für Feuerbachschen Materialismus (der sich anti-thetisch zur Hegelschen spek-ulativen Philosophie überhaupt verhält) wie auch Positivismus und Lebensphilosophie (die beide - im komplementären Sinn - von einem radikal-kritischen {d.h. system-kritischen}, und damit anti-metaphysischen {d.h. agnostischen} Verhältnis zum begreifenden Denken beherrscht sind, und denen somit beiden ein subjektiv-idealistischer- und deshalb immer wieder in Subjektivismus übergehender - Standpunkt zugrunde liegt). >>> letzteres zieht sich als Strang bis heute durch: wichtig!

"In Reaktion [darauf]... findet ...eine mehr oder weniger metaphysik-kritische und später post­metaphysische Wiederherstellung der Ontologie statt. Diese 'neue Ontologie' steht dann auch für das 'Zurück zur Sache selbst' und die 'Wende zum Objekt' (Husserl) am Anfang dieses Jahrhunderts. Auch der Tractatus logico-philosophicus des frühen Wittgenstein muß gleichwohl aus dieser Perspektive betrachtet werden. ... Die in diesem Werk entwickelte abbildungstheoretische Struktur von Sprache und Wirklichkeit reflektiert das Bedürfnis (und das Interesse), der positivistischen Denkhaltung und Ausgangsposition nachträglich ein ontologisches Statut zu erteilen." (618,1-2) >>> gilt das auch für unsere materialistische Denkhaltung (v.a. in Anlehnung an Lukacs)?

Husserl: "'Jede dieser Regionen (z.B. Natur, Mensch, Geschichte) ist das Objekt einer eigenen auf sie bezogenen Wesenswissenschaft oder materialen Ontologie' (Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. 1913, 1950; 364-368) Diese regionalen bzw. materialen Ontologien nun sind streng apriorische Wissenschaften und bilden die Grundlage der empirischen Wissenschaften, die sich auf dasselbe Objekt richten. Darüber steht die Formontologie, die alle formalen Kategorien, Wesen des 'Gegenstandes überhaupt' begründet sind, ausarbeitet." (618,2) >>> hier der Ansatzpunkt von Lukacs et al.?

"Im Gegensatz zu den logisch-rationalistischen Konzeptionen von Wittgenstein und Husserl versichert N. Hartmann und G. Jacoby ihrer kritischen (d.h. metaphysik-kritischen) Wiederherstellung der Ontologie eine streng empirische Grundlage zu geben. ... Ablehnung der Ontologie als Wesenslehre ... [gegen] eine sich rein aus Begriffen deduzierende Metaphysik." (619,1)

Darf deshalb nicht mehr als eine Metaphysik - ob aristotelisch oder wie bei Chr. Wolff ­aufgefaßt werden: "Die neue Ontologie dagegen ist nichts anderes (mehr) als eine 'Kategorialanalyse', d. h.: eine Ausarbeitung der 'Formenmannigfaltigkeit des Seienden und des Ineinandergreifens von Abhängigkeit und Selbständigkeit' (Hartmann: Neue Wege der Ontologie. 1969; 36, vgl. 18, 20) ... Innerhalb dieser 'realistischen', d.h. zum Materialismus tendierenden Ontologie unterscheidet Hartmann daraufhin zwei Seinsweisen: das 'reale' und das 'ideale' Sein. Das 'reale Sein' wiederum ist in vier 'Seinsstufen' oder 'Schichten' gegliedert: das Physisch-Materielle, das Organische, das Seelische und das Geistige. .... aber die (relative) Selbständigkeit dieser 'Seinsstufen' wird verabsolutiert, so daß die (unterschiedenen) Seinsformen metaphysisch verselbständigt und hypostasiert werden. Außerdem wird die dialektische Beziehung der unterschiedenen 'Schichten' untereinander nicht erkannt. Dazu kommt noch, daß die genetische Herkunft der höheren Stufen aus den niedrigeren nicht aufgedeckt wird.


Obwohl sich Hartmann.... also entschieden von einem offenen (subjektiven, transzendentalen und objektiven) Idealismus distanziert, lehnt er aufgrund des nicht-reduzierbaren Wesensunterschiedes der einzelnen Seinsformen der Realität, also wegen der 'fundamentalen Vielschichtigkeit' der Welt - und indem er von einem 'unintelligiblen Rest' auf allen Gebieten der Wirklichkeit redet -, jede monistische Fragestellung, und damit Lösung, ab." (619, 1-2)

>>> hier der nächste Absetzungspunkt? denn er bleibt vor der Totalität stehen, aber wir müssen uns selber klar werden, ob und inwiefern wir monistisch (d.h. "daß die Wesensverschiedenheit der Elemente der Wirklichkeit bestritten und alles nur auf eine einzige {substanzielle) Seinsart zurückgeführt {Reduktionismus) und durch sie allein erklärt wird: Materialismus u. Spiritualismus"1), z.B. im Sinne der Bedeutung der Arbeit und ihrer Bestimmung aus den Grundlagen des gesellschaftlichen Seins des Menschen als grundsätzlich sozialem Wesen, oder der Natur und ihrer Dialektik (und der Dialektik des ges. Naturverhältnisses), weil wir sonst a) nicht vor den metaphysisch-idealistischen Gefahrenpotentialen solcher Position gefeit sind; b) unser eigenes Denken und seine Annahmen nicht nur nicht explizieren, sondern auch nicht kritisch reflektieren und kontextuieren können; c) was den ideologischen Kampf angeht, in den Diskussionen mit unseren Gegnern uns nicht adäquat zu verteidigen vermögen und nicht bestehen werden (nicht nur ein taktisches Argument, sondern hier liegt eine Quelle für Sek-tierertum als beständiger Gefahr, nämlich, wenn wir unsere Standpunkte und Sichtweisen nur noch dogmatisch = diskussionsverweigernd behaupten können. Damit würden wir der notwendigen Auseinandersetzung einer sich konstituierenden kommunistischen Bewegung nicht nur einen Bärendienst erweisen, sondern können auch das "Erbe" nicht aufheben und auf die gleiche Diskussionshöhe wie die frühere Bewegung auf neuem Niveau gelangen.).

Auch G. Jacoby stellt die Frage "Was ist Wirklichkeit?" antiessentialistisch. Beide tragen den Widerspruch zwischen induktiver Methode (auf empirischer Grundlage) und somit Distanzierung vom subjektiven Idealismus' Husserls und Wittgensteins wie auch von jeglichen spekulativen metaphysischen Anspruch, d.h. von jeglicher Theorie des Absoluten in sich, indem sie einerseits Kants Kritik teils rückgängig machen, teils gerade radikalisieren. Damit ist die "´Neue' Ontologie nicht nur auch selbst in (objektiv) idealistischen Voraussetzungen befangen,

sondern bildet sie auch den Nährboden für ein Ontologie-Konzept, das die (heimliche) Rückkehr zu einem subjektiven Idealismus zu legitimieren scheint." (620, 1)

"Sowohl Heideggers 'Fundamental-Ontologie' als auch Quines analytische Ontologie versuchen, sich vor jeglicher System-Konzeption, die metaphysische Ansprüche stellt, zu bewahren."

(620, 1)

Heidegger spricht daher nicht von einer Fundamental-Metaphysik, "sondern auschlieslich von 'Fundamental-Ontologie'. Und damit meint er primär die 'existenziale Analytik des Daseins' d.h. die fundamentale Problematik der 'Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt'. [hier immer als: nicht das Seiende, sondern das Sein des Seienden, d.h. dasjenige, was die Wirklichkeit des Wirklichen bildet - 620,2o. -] ... Ebenso wie die Metaphysik wird [später] auch die Ontologie kritisch abgelehnt ... Das Problematische der Ontologie ist für Heidegger nicht, daß sie das Sein der Seienden denkt und damit das Sein zum Begriff zwingt, sondern '... weil sie die Wahrheit des Seins nicht denkt und so verkennt, dass es ein Denken gibt das strenger ist als das Begriffliche."' (621,1) [>>> deshalb also bei Heidegger "das Einnehmen einer bestimmten Denkhaltung" - 620,1u. so zentral] "...da von jeder systematischen Ausarbeitung einer derartigen Ontologie auch immer gefordert wird, daß sie sich der Wahrheit versichert, so muß er (schließlich) auf Ontologie, als einer systematisch zu betreibenden Disziplin verzichten." (621,1) >>> hierin äußert sich auch, wie die "(Denk-) Haltung von Heidegger - das seinsandächtige 'Denken'- die unbewußte Angst vor der technischen Zivilisation" widerspiegelt. (622,1)

Zwischenzusammenfassung: "Insofern Ontologie für die (gegenwärtige) nicht-marxistische Philosophie konstitutiv ist, impliziert sie entweder eine unkritische Rückkehr zu einer vor­kritischen (und objektiv idealistischen) Metaphysik oder die tendenzielle Fortsetzung von Kants kritischer (transzendental-idealistischer) Destruktion jener vor-kritischen Metaphysik....

Auf rationalistischer Basis zeigt sich, daß weder die phänomenologisch gewonnene 'Wesensschau' von Husserl noch die logisch-positivistisch gewonnene Sprach-Struktur von Wittgenstein in der Lage sind, den subjektiven Idealismus zu überwinden, d.h. die Totalität der Welt in ihrer Objektivität - also auch in ihrer gesetzmäßigen Bewegung und Entwicklung - zu konzeptualisieren.



Marxismus und Ontologie:

"Der Totalitätskonzeption Hegels ist also ein von seiner (Begriffs-)Logik unterschiedenes ontologisches Moment inhärent, wenn auch nur in Gestalt einer objektiven Logik. ... Das Sein als Werden des Ganzen, d.h. als die historische Verwirklichung des Wesens (s.a. Wesen/Erscheinung) verstanden, steht deshalb kategorial nicht im Widerspruch zu einer seinstheoretischen Konzeption. Ontologie ist (im Prinzip) auch als historisch-dialektische Ontologie möglich. Oder: Ontologie impliziert nicht (unbedingt) 'Geschichtsvergessenheit'.“ (622,1)

Der Materialismus des 17. u. 18. Jh., wie er von u.a. Feuerbach in Deutschland rezipiert wurde, verhält sich antithetisch zur spekulativen Philosophie Hegels. "Jedoch: mit dieser ontologischen' (Ein-)Stellung - der Zuweisung des Primats an das (materielle) Sein - ist dieser auf empirischer Grundlage basierte Materialismus dennoch ein philosophischer Materialismus und steht damit auch unbeabsichtigt auf spekulativem Boden. ... Das Philosophische dieses Materialismus liegt in der theoretischen Kategorie eines primordial gedachten (materiellen) Seins: Natur, Materie. Dieser Materie-Begriff reflektiert zugleich aber auch die theoretische Unzulänglichkeit dieses Materialismus. Sein philosophischer Mangel wird nämlich in einem als 'Materie an sich' substantialisierten Begriff, d.h. als etwas Absolutes, das (damit auch) dem menschlichen Bewußtsein unmittelbar zugänglich sei, widerspiegelt. " (622,2)

>>> das wäre Leugnung des Psychischen wie des Bewußtseins als nicht nur verschleierndem sondern aktiv gesellschaftlichem Faktor der Wirklichkeitserzeugung, der Geschichte, also insofern (und außerdem) der totale Determinismus.

"..jeder philosophische Materialismus hat (mehr oder weniger ausgesprochene) ontologische Implikationen, wobei dem was Sein primär (und unbedingt) ist, ein Inhalt gegeben wird, d.h. indem Status und Wesen des 'Seins' näher bestimmt sind. ... Es geht also keineswegs darum: mit oder ohne Ontologie, sondern um die Frage nach dem 'wie' der Ontologie. Anders ausgedrückt: die Frage lautet also nicht, ob Philosophie (überhaupt) ein von der Logik (und Gnoseologie) unterschiedenes Objekt erlaubt und fordert, sondern vielmehr wie dieser Objektbereich begriffen werden kann und muß, so daß er mit dem Stand der Wissenschaft übereinstimmt." (623,1)

Dies müßte a fortiori auch für einen philosophisch konsequenten also (historisch-)dialektischen Materialismus gelten. "Trotzdem wird gerade diese materialistische Dialektik oft als eine endgültige Überwindung jeglicher' Ontologie betrachtet. Diese Denkweise beruht auf der Annahme, Ontologie wäre (letztlich) ein nicht-dialektischer, d.h. passiver und also nicht auf historische Veränderbarkeit der Welt ausgerichteter (und damit traditioneller) Bestandteil der Philosophie." (623,1)

>>> also festzuhalten: zwei Gegenargumente: a) Materialismus nicht ontologisch, weil Ontologie immer idealistische Ontologie- b) Historischer Materialismus wegen der in ihm enthaltenen historischen Dialektik ebenfalls nicht, weil Ontologie immer Theorie des nicht­dialektischen = unbeweglichen, a-historischen Seins.

Das hat für den Marxismus "erhebliche theoretische Folgen: die kategorial-logische Strukturierung der marxistischen Dialektik kann, wenn es eine allgemeine Theorie des Seinszusammenhangs nicht gibt, nicht mehr vermittelt werden in eine unterschiedene Dialektik der Natur und der Gesellschaft. Stärker noch: Aus Mangel an einer unterschiedenen [eben: weil die O. der Natur und der Gesellschaft zu unterscheiden sind!!!] Ontologie drohen die allgemeinsten (kategorialen) Verhältnisse durch eine erkenntnistheoretische Struktur 'vermittelt' zu werden, die (dadurch ) ihre Grundlage ausschließlich in einer Dialektik der Gesellschaft (d.h. der Praxis oder der Arbeit) und nicht mehr (in übergreifendem Sinn) in der (objektiven) Naturdialektik hat. Anders: wenn eine explizite Ontologie fehlt, so übernimmt die Gnoseologie (Erkenntnistheorie) die Funktion das Allgemeinste der Theorie zu vermitteln. Kategoriale Bestimmungen wie 'Materie', 'Widerspiegelung' und 'Totalität' bilden dann lediglich das erkenntnistheoretische (quasi-ontologische) Statut einer Erkenntnisauffassung, die nicht über einen bewußtseins-, d.h. arbeitstheoretischen Zusammenhang hinausgeht. ... das hieraus 'entstandene' Primat des erkenntnistheoretischen Verhältnisses_spiegelt u.a. einen nicht mehr auf der Objektivität der Praxis begründeten (und begründbaren) Erkenntnis-Begriff wider. Eine derartige erkenntnistheoretische Konzeption hat zwar (mit Recht) ihren Ausgangspunkt im Praxis-Begriff, aber sie fundiert die Erkenntnis (ihre Objektivität) nicht mehr in der Objektivität (und Materialität) ihres Ausgangspunktes und hat sich selbst auch von vornherein dieser Möglichkeit benommen. Die Kategorie 'Totalität' ist so auf eine regulative Idee [vgl. hier das entspr. Stichwort] reduziert worden: 'Widerspiegelung' und 'Materie' haben dann nur noch eine erkenntnistheoretische (auschließlich für das Verhältnis von Denken und Sein geltende) Bedeutung."

(623,2 - 624,1)

>>> das ist absolut zentral: 1. auch ich bin immer so an die Grundlegungsfrage herangegangen, wodurch die aus der KpÖk gewonnenen kritischen Kategorien zu solchen des gesellschaftlichen Sein ausschließlich werden, als wäre Gesellschaft erst mit dem Kapitalismus neu entstanden, ex nihil sozusagen, und als könne daher jenseits des Kapitalismus von uns nichts gedacht werden. So also nochmalige Verewigung des Kapitalverhältnisses, daß dann nur kritisch abzulehnen, aber - aufgrund mangelnder Kriterien - nicht mehr zu überwinden ist. 2. eine Ontologie der Arbeit ist tatsächlich zu kritisieren, denn sie verkürzt die ontologischen Grundlagen, die Konstitution des gesellschaftlichen Seins auf besagten bewußtseinstheoretischen Zusammenhang, der nur noch das Denken im Rahmen des Denkens des Verhältnisses von Denken und Sein zuläßt und demhinzu die Konstitution des Psychischen, des Sinnlichen etc. reduktionistisch diesem Denkrahmen einverleiben muß (der so als ein Prokrustesbett sich entpuppt) oder biologistisch-positivistisch erklären muß (??).

>>> so wäre auch eine Kritik am kategorialen Marxismus des PKA zu fundieren, die die (Vor­)Arbeiten des PKA dialektisch fortzuentwickeln vermochte, was wichtig ist, weil sie zum besseren Teil des "Erbes", des leidigen, ja eigentlich schon zum Kanon gehören. (?)


"Demgegenüber muß festgehalten werden, daß die theoretische Umforrnung des (traditionell aufgefaßten) ontologischen Objektes - das Sein insofern es ist und so wie es ist - gerade eine ausdrückliche Ontologie erfordert und möglich macht. ... Idealismus und Materialismus liefern eine ontologische Positionsbestimmung im Hinblick auf die Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein. [nämlich auf Engels' Frage: "Was ist das Ursprüngliche, der Geist oder die Natur?" DN, 275] Das erkenntnistheoretische Problem - 'Wie verhalten sich unsere Gedanken über die uns umgebende Welt zu dieser Welt selbst?' ebd. - ist ein anderer Aspekt dieses Verhältnisses und wird von Engels ausdrücklich vom Verhältnis Materialismus und Idealismus unterschieden. ... Kurz: der Doppelcharakter des Verhältnisses von Denken und Sein - (primär) ein ontologisches und (damit auch) ein hiervon unterschiedenes gnoseologisches Verhältnis zu sein - kann nur festgehalten werden durch eine dialektisch-materialistische Ontologie, die dieses Verhältnis als solches fundiert." (624, 1-2)

>>> der folgende Satz ist zentral, denn genau das muß gegen die Ontologiegegner erwiesen werden: "Das von Marx und Engels begonnene und (zum Teil) durchgeführte Programm, das dialektische System von Hegel 'umzustülpen', d.h. materialistisch umzukehren, scheint eine System-Konzeption zu erfordern und zu ermöglichen, die dem der Prozessualität der Welt (der Totalität des Weltprozesses) am konsequentesten gerecht wird." (624,2) >>> wieso "scheint"? war es Marx und Engels Programm "das dialektische System von Hegel 'umzustülpen“' ? zugleich ja auch hier wieder interessant, a) wie es - resp. Totalität, Prozessualität und Dialektik - immer dieselben Knackpunkte sind, die im Paket geleugnet oder verkürzt werden; b) wie es immer dieselben bürgerlichen Leute sind, nämlich MLer auf der einen und Gnoseologen auf der anderen, die ihren Gesunden Menschenverstand des vernünftigen Bürgers gegen die hier dargelegte Konzeption ins Feld fuhren.

Es geht um den "systematischen Begriff einer unaufhörlich sich verändernden, praktisch veränderbaren, in Bezug auf die Zukunft offenen Welt. ... Dieser systematische Begriff - der im Begriff der bewußt-'gegenständlichen Tätigkeit' seinen Ausgangspunkt und (deshalb) in der universellen Wechselwirkung (d.h. dem fortwährenden Stoff- und Formwechsel) seine primäre Welterfahrung hat - benötigt und unterstellt eine ausdrücklich von der Logik (und Gnoseologie) unterschiedene Ontologie, in der die (progressive) Prozessualität der Welt (als objektiver Zusammenhang) durchdacht wird." (624,2)

"Materie und Widerspiegelung als philosophische Kategorien entwickeln zu können, heißt dann, daß für dieses theoretische Verhältnis ein ontologischer Status gewonnen wird. Oder: wenn diesen Kategorien nur ein gnoseologischer Status gegeben werden kann, so bleiben 'Totalität' und 'Wahrheit' in einer materialistischen Erkenntnistheorie rein regulative Ideen (der Vernunft), also ohne kognitiv-theoretische Bedeutung." (625, 1)

"Als solche" gibt es Materie und Widerspiegelung nicht: "sie können also nur erkannt werden, indem man die einzelnen Materie- und Widerspiegelungsformen (d.h. Niveaus) erforscht. ... Materie und Widerspiegelung als spekulative Begriffe verweisen (dennoch) auf das allgemein(st) Konkrete: die Bestimmungen, durch die alles (was ist) gleichermaßen Inhalt und Form hat. Anders: Materie und Widerspiegelung sind die kategorialen Formen unter denen das Sein (seiende) sowohl unbedingte Objektivität (Substantialität) als auch Ausdruck (Reflexivität) hat. ... Also, als allgemeinste (und damit wesentliche) Bestimmungen. des Seins (Seienden) haben 'Materie' und 'Widerspiegelung' einen ontologischen Status. Deshalb können wir gewissermaßen sagen, daß M. u. W. existieren: sie sind wirklich. [Denn] Es ist allem was (wirklich) ist, d.h. dem Wirklichen, inhärent, nicht nur nicht in (all) ihren Eigenschaften aufzugehen, sondern auch (zugleich) nur durch (all) ihre Eigenschaften wirklich zu sein. ... nur als Form-Bestimmtheit der Materie ist die Widerspiegelung eine von der Materie unterschiedene allgemeine Bestimmung." (625,1-2)

... nur der Welt als Einheit von Materialität und Relationalität (also als Totalität materieller Beziehungen) kommt inhärent Perspektivität und Prozessualität zu. Materialität und Relationalität bilden deswegen die kategoriale Beziehung der dialektisch-materialistisch begriffenen Einheit von Substantialität und Reflexivität.

Innerhalb dieser Einheit von Materie und Widerspiegelung ... zeigt sich jetzt die Möglichkeit einer besonderen materiellen Form, d.h. eines Widerspiegelungsniveaus (Bewußtsein!), dessen Materialität wir Idealität nennen (d.h. dessen Materialität nur darin besteht, daß sie gegenetisch und funktional abhängig ist von materiellen Prozessen) und dessen Widerspiegelung wir Widerspiegelung der Widerspiegelung nennen (d.h. dessen Widerspiegelung Widerspiegelung der Totalität als solcher ist). Aufgrund dieser Möglichkeit ist das Bewußtsein ein besonderes Seinsverhältnis, dessen Objektivität (Unabhängigkeit) als das Ausdrücken der Totalität als Ganzes zur Geltung kommt."(ebd.)


Probleme:

Entwicklung und Ausarbeitung einer marxistischen Ontologie nicht ohne Risiken; wurde lange - aus neukantianischer und positivistischer Denkhaltung - für praktisch überflüssig und theoretisch unmöglich gehalten. >>> wir hätten in Diskussion die praktische Notwendigkeit einer marx. Ont. darzulegen, eben nicht nur ihre Möglichkeit! Wesentliche Punkte dabei sind genau die praktisch-politischen Ausflüsse einer anti-ontologischen Haltung, nämlich a) die Marxsche Theorie primär als Wissenschaft zu betrachten und anzuwenden "und zwar im Sinne einer von der Philosophie befreiten Einzelwissenschaft" (626,1), damit geht aber die einzig adäquate Bestimmung der Marxschen Theorie als Theorie der kommunistischen Revolution auf der Höhe der Totalität der kapitalistischen Gesellschaft unrettbar verloren und die Theorie verkümmert zu einem positiven Instrument zur Manipulation der gesellschaftlichen Realität, zu einer kritischen Soziologie oder Gesellschaftstheorie; b) sie wird so außerdem in völlig falscher (letztlich unkritischer) Manier entpolitisiert (so auch entpotenziert), anstatt dem bürgerlichen Begriff von Politik einen revolutionär-kommunistischen (z.B. des "entwickelns von power" Marx) entgegenzusetzen (vgl. z.B. in Europ. Enz. die Stichworte: Politik, Praxis, Revolution); c) sie können das Naturverhältnis nicht in seiner Objektivität und eben Unterschiedenheit denken / erkennen und somit keine Vorstellung von Kommunismus und seiner Möglichkeit entwickeln, die über den Horizont der bürgerlichen Gesellschaft hinausreichen könnte.

"Und G. Lukacs ist es, der im Anschluß [an Lenin] erst später einen Versuch macht ... den grundsätzlichen anti-philosophischen Wissenschaftsbegriff in der Theorie-Entwicklung des Marxismus zu überwinden, um die Einheit von Philosophie und Wissenschaft wiederherzustellen. ... Trotzdem aber wurde gerade Lukacs' 'Gesellschafts-Ontologie' ein wichtiger Anlaß, sich innerhalb der marxistischen Theorie einer unterschiedenen Seinstheorie hartnäckig zu widersetzen. Verständlich, weil seine Konzeption zu kurz greift, da er von Anfang an die ökonomischen Bewegungsgesetze unmittelbar in `ontologische Entwicklungsgesetze' umwandelt, d.h. weil er ökonomische Kategorien, die einzelne Seiten der bürgerlichen Gesellschaft ausdrücken, als ontologische Kategorien auffaßt. Aufgrund dieses theoretischen 'Kurzschließens' wird dem materiellen Lebensprozeß der Menschen seine formationsspezifische historische Entwicklung entzogen und somit gegenüber den materiellen Kräften des historischen Prozesses ontologisch verselbständigt, wobei schließlich auch die gesellschaftliche Arbeit des Menschen ontologisiert wird. Diese ontologische Hypostasierung des gesellschaftlichen Seins, d.h. der Arbeit, führt dann zur idealistischen Einstellung, das gesellschaftliche Sein würde vom (gesellschaftlichen) Bewußtsein als 'Seinsmacht' regiert, d.h. der teleologische Charakter der menschlichen Arbeit übersteige die Kausalität (und Gesetzmäßigkeit) des materiellen Prozesses. [<<< das diskutieren!!!] ... Kurz gesagt: ein Begriff des materiellen (gesellschaftlichen) Seins, d.h. von Materialität, die keine Idealität verträgt, reproduziert schließlich einen Bewußtseinsbegriff, in dem die Idealität einen autonomen, rein spontanen und souveränen Charakter bekommt.' (626, 1-2)

"Allgemein gesprochen heißt dies: ... 'Ontologismus' oder ontologische Übertreibung im Marxismus spiegelt sich in der Substantialisierung (und Hypostasierung) entweder des Materie­Begriffs oder des Widerspiegelungsbegriffs wider. Im ersten Fall entbehrt die Theorie des Gesamtzusammenhangs Dialektik (Historizität) und verursacht eine mechanistische Verflachung: im zweiten Fall fehlt es in einer derartigen Theorie an Materialität (und Objektivität) und dies führt dann zu einer idealistischen Überzeichnung. ...

Indem der Materie-Begriff substantialisiert wird, droht der fundamentale und asymmetrische Unterschied von Denken und Sein im Prinzip einer 'ersten' Materie zu verschwinden. Infolgedessen ist dann die Widerspiegelung, - und damit auch das (begreifende) Denken als Widerspiegelung der Widerspiegelung - auf ein (Epi-)Phänomen der Materie reduziert.

Indem der Widerspiegelungsbegriff substantialisiert wird, droht ebenfalls die fundamentale und asymmetrische Nicht-Identität von Denken und Sein sich aufzulösen, und zwar in das Prinzip einer absoluten Perspektivität. In diesem Fall ist die Materie - und damit die unabhängig vom Bewußtsein existierende Welt - reduziert auf ein akzidentelles Substrat der Reflexivität.

In beiden Fällen tendiert das Verhältnis von Denken und Sein dazu, als ein besonderes Seinsverhältnis - d.h. als ein von 'Sein als Sein' verschiedenes Erkenntnis-, d.h. Bewußtseinsverhältnis - zu einem universellen Seinsverhältnis bzw. zu Materialität (Substantialität) oder Idealität (Reflexivität) nivelliert zu werden.

Die allgemeine System-Struktur der materialistischen Dialektik läßt sich nicht auf eine Logik des Erkenntnis-Verhältnisses (d.h. des Erkenntnisprozesses und der Erkenntnisstruktur) zurückführen, auch nicht auf eine Ontologie der Erkenntnis beschränken. In diesem Fall bleibt das Verhältnis von Denken und Sein dualistisch fixiert: die Fundierung von Erkenntnis und Wahrheit geht damit nicht über eine transzendentale, d.h. bewußtseins-theoretische ­ausschließlich aus der Dialektik der menschlichen Arbeit gewonnene - Konstituierung hinaus, wobei die Natur nur noch als formloses Substrat hinzugedacht wird." (626,2 - 627, 1)

1 Stichwort „Monismus“. In Friedo Ricken (Hrsg.): Lexikon der Erkenntnistheorie und Metaphysik. München:

Beck, 1984; S.124