aus:
Kritisches Wörterbuch des Marxismus
Bd. 8
Hrsg.: Georges Labica und Gérard Bensussan
Hrsg. der deutschen Fassung: Wolfgang Fritz Haug
Argument-Verlag, Hamburg 1989
Zirkulationsprozess S.1476ff
Der Zirkulationsprozess ist die Gesamtbewegung des Kapitals, die den Produktionskreislauf und den Kreislauf der Realisierung einschließt. Er wird im zweiten Band des Kapitals, den Engels 1885 herausgab, behandelt: "Das Kapital als sich verwertender Wert umschliesst nicht nur Klassenverhältnisse, einen bestimmten gesellschaftlichen Charakter, der auf dem Dasein der Arbeit als Lohnarbeit ruht. Es ist eine Bewegung, ein Kreislaufprozeß durch verschiedne Stadien, der selbst wieder drei verschiedene Formen des Kreislaufprozesses einschließt. Es kann daher nur als Bewegung und nicht als ruhendes Ding begriffen werden." (KII,MEW24,109)
Den Zirkulationsprozess studieren, heißt also zunächst, diese drei Stadien ins Bewußtsein rufen und diese drei Formen beschreiben.
Da sich die Kreisläufe, in denen jedes individuelle Kapital eine Reihe von Metamorphosen durchläuft, unaufhörlich wiederholen, empfiehlt es sich, die verschiedenen Probleme des Kreislaufs - oder des Kapitalkreislaufs nicht als einmaliger Vorgang, sondern als periodischer Prozeß betrachtet - voneinander zu trennen: Probleme, die entweder durch die Zusammensetzung des produktiven Kapitals, durch die Dauer des Produktionprozesses oder durch die Dauer des Zirkulationsprozesses bedingt sind. Diese verschiedenen Faktoren, die die Umschlaggeschwindigkeit des Kapitals bestimmen, haben überdies einen wesentlichen Einfluß auf die Mehrwertschöpfung, die es genauer zu betrachten gilt.
Der Kreislauf des Kapitals vollzieht sich in drei Stadien. Im ersten, das sich in der Zirkulationssphäre abspielt, tritt der Kapitalist als Käufer der Produktionsmittel und der Arbeitskraft auf; die Bewegung des Kapitals, die in der Verwandlung von Geldkapital in produktives Kapital besteht - in die Ware Arbeitskraft und die Ware Produktionsmittel -, kann man so schreiben:
Ak
G - W
Pm
Im zweiten Stadium, das in die Produktionssphäre gehört, gestattet das produktive Kapital der angewandten Arbeitskraft, den Wert der konsumierten Produktionsmittel auf den hergestellten Gegenstand zu übertragen und den Neuwert zu schaffen, der aus dem reproduzierten Wert der Arbeitskraft und dem Mehrwert besteht; diese Bewegung des Kapitals, die Verwandlung des produktiven Kapitals in Warenkapital, kann man schreiben als
Ak
W ...P ... W` (>>P<< für Produktion, >>W`<< für das vergrößerte Warenkapital)
Pm
Im dritten Stadium, das wieder in der Zirkulationssphäre spielt, werden die Waren auf dem Markt verkauft, und der Kapitalist erhält sein ursprünglich vorgeschossenes Kapital vergrößert wieder zurück; diese Kapitalbewegung, die Verwandlung des Waren- in Geldkapital, kann man schreiben als: W`- G`.
Den drei Stadien entsprechen drei Formen und zugleich drei Funktionen des Kapitals.
Das Geldkapital hat die Funktion, die Bedingungen zu schaffen, unter denen Arbeitskraft und Produktionsmittel zusammengebracht werden können;
das produktive Kapital hat die Funktion, Mehrwert zu schaffen;
das Warenkapital hat die Funktion, den vergrößerten Kapitalwert zu realisieren, der aus dem Wert des vorgeschossenen Kapitals und dem Mehrwert besteht und von neuem in die Zirkulation geworfen wird. "Das Kapital, welches im Verlauf seines Gesamtkreislaufes diese Formen annimmt und wieder abstreift und in jeder die ihr entsprechende Funktion vollzieht, ist industrielles Kapital - industriell hier in dem Sinn, daß es jeden kapitalistisch betriebnen Produktionszweig umfasst" (KII, MEW 24, 56)
Der Gesamtkreislauf läßt sich mit der folgenden Formel wiedergeben:
Ak
G - W ... P ... W` - G`
Pm
Die Pünktchen zeigen an, daß der Produktionsprozeß den Zirkulationsprozeß unterbricht (das Zeichen `steht für den jeweiligen Wertzuwachs). Die Kontinuität des Kreislaufs, den das industrielle Kapital durchmacht, bedingt den kontinuierlichen Kreislauf seiner verschiedenen Teile:
stockt das Kapital in seiner ersten Phase, verwandelt sich das Geldkapital in Schatz;
stockt es in seiner zweiten Phase, liegen die Produktionsmittel brach und bleibt die Arbeitskraft unbeschäftigt;
wird die Kapitalbewegung in der dritten Phase unterbrochen, können die Waren nicht verkauft, und der Kreislauf kann nicht erneuert werden.
Da der Kreislauf des industriellen Kapitals die Einheit seiner drei Kreisläufe ist, können die drei Kreislauffiguren des Kapitals in der gleichen Weise geschrieben werden
Ak
G - W ... P ... W` für den Kreislauf des Geldkapitals;
Pm
Ak
P ... W` - G` - W ... P für den Kreislauf des produktiven Kapitals;
Pm
Ak
W` - G` - W ... P ... W` für den Kreislauf des Warenkapitals;
Pm
Die Zirkulation des Kapitals verschlingt sich mit der Warenzirkulation, die Verkäufer und Käufer, Produzenten und Konsumenten verbindet, sowie mit der Geldzirkulation, die man sich als Händewechsel des Geldes denken kann, unterscheidet sich jedoch zugleich davon.
Der Kreislauf des Kapitals, als periodischer Prozeß betrachtet, wird Umschlag genannt; die Umschlagszeit ist die Zeit, während der der Kapitalist gezwungen ist, sein Kapital vorzuschiessen, um es zu verwerten und in seiner ursprünglichen Form wieder zu erhalten. Mit anderen Worten, die "gesamte Zirkulationszeit eines gegebenen Kapitals ist gleich der Summe seiner Umlaufszeit und seiner Produktionszeit. Es ist der Zeitabschnitt von dem Augenblick des Vorschusses des Kapitalwerts in derselben Form." (KII,MEW 24,154).
Die Produktionszeit ist die Zeit, während der sich das Kapital in der Produktionssphäre befindet; ihr wichtigster Abschnitt ist die Arbeitsperiode, deren Dauer von den Besonderheiten der jeweils nötigen Arbeiten und von der Entwicklung der Produktivität abhängt; dazu gehören auch die Perioden, in denen die verfügbaren Produktionsmittel brachliegen, die Pausenzeiten. Wenn die Produktionsperiode länger ist als die Arbeitsperiode, befindet sich das produktive Kapital vorübergehend im latenten Zustand und verwertet sich nicht. Die Kunst der Betriebsführung besteht darin, diese Latenzperioden zu vermindrn und die Produktionszeit abzukürzen. Die Zirkulationszeit ist die Zeit, während der das Kapital von der Geldform in die produktive Form und von der Warenform in die Geldform übergeht; Ihre Dauer hängt von der Organisation der Märkte, von der Entwicklung der Transport- und Kommunikationsmittel ab. Die verschiedenen Bestandteile des Kapitals zirkulieren nicht in der gleichen Weise. Im Blick darauf muß man zwischen fixem und zirkulierendem Kapital unterscheiden, ein Unterschied, der allein auf der Zirkulationsweise des Kapitalwerts bzw. auf der Art und Weise, in der die verschiedenen Bestandteile des produktiven Kapitals ihren Wert auf das Produkt übertragen, beruht. Das fixe Kapital geht vollständig in die Produktion ein, überträgt aber seinen Wert nur stückweis auf das Produkt in dem Maße, wie es sich abnutzt (materieller Verschleiß) oder sich entwertet (moralischer Verschleiß). Der Amortisationsfonds ist der Gegenwert des verbrauchten fixen Kapitals in Geldform. Das zirkulierende Kapital ist der Teil des produktiven Kapitals, dessen Wert im Laufe einer Umschlagsperiode vollständig aufs Produkt übertragen wird. Diese Unterscheidung deckt sich nicht mit dem Unterschied zwischen konstantem und variablem Kapital, denn die Rohstoffe, die ein Teil des konstanten Kapitals sind, gehören dennoch zum zirkulierenden Kapital. Die erste Unterscheidung beruht auf der Natur des Umschlags, die zweite auf die Rolle des Kapitals im Ausbeutungsprozeß. Die durchschnittliche Dauer des Umschlags des fixen und zirkulierenden Kapitals ergibt den Gesamtumschlag des vorgeschossenen Kapitals. Der technische Fortschritt beeinflußt den Gesamtumschlag in verschiedener Richtung: Eine (kapital-)intensive Modernisierung, die den Anteil des fixen Kapitals vergrößert, verlangsamt den Gesamtumschlag des vorgeschossenen Kapitals, aber beschleunigt zugleich auch den moralischen Verschleiß der benützten Ausrüstungen und damit den Kapitalumschlag.
Die Faktoren, die die Geschwindigkeit des Kapitalumschlags bestimmen, haben zugleich einen wesentlichen Einfluß auf die Mehrwertschöpfung. Schlägt das Gesamtkapital schneller um, wird zugleich der Umschlag seines variablen Bestandteils beschleunigt. Davon hängen gleichzeitig die Masse und die Jahresrate des Mehrwerts ab: "Bei gegebener Stufenleiter der Produktion verringert sich im Verhältnis zur Kürze der Umschlagperiode die absolute Größe des vorgschoßnen variablen Geldkapitals (wie des zirkulierenden Kapitals überhaupt) und wächst die Jahresrate des Mehrwerts. Bei gegebener Größe des vorgeschoßnen Kapitals wächst die Stufenleiter der Produktion, daher bei gegebener Rate des Mehrwerts die absolute Masse des in einer Umschlagsperiode erzeugten Mehrwerts, gleichzeitig mit der durch die Verkürzung der Reproduktionsperioden bewirkten Steigerung in der Jahresrate des Mehrwerts." (KII, MEW 24, 316)