Die US Regierung verheizt nicht nur Afghanen, sondern auch ihre eigenen Spezialtruppen
Fliehen und Ausweichen ist die Devise: 'Rette sich, wer kann!'

In unserem Beitrag, vom 3.11.2001, "... warum Abdul Haq sterben mußte", berichteten wir am Rande über einen weiteren Pashtunen, der gegen die Taliban kämpft, und zwar im Süden Afghanistans. Er heißt (wenn er beim Erscheinen dieses Beitrags noch lebt, ansonsten: er hieß) Hamid Karzai, ist Mitte 40 und operiert in den Bergen um Deharwad, ohne den Luxus größerer Unterstützung und unter ständiger Verfolgung durch die Taliban. Dies erwähnten wir bereits in unserem Beitrag, und hier wird es erneut bestätigt. Hamid Karzai, der den USA durchaus kein Unbekannter ist, gilt offensichtlich auch als einer von denjenigen, die Donald Rumsfeld als einen von mehreren Talibanopponenten bezeichnet. Ohne militärische Unterstützung seitens der USA, jedoch Empfänger einiger von US-Flugzeugen abgeworfener Lebensmittel und Munition versucht er mit einem guten Dutzend loyaler Kämpfer, sich gegen die Taliban zu profilieren. Man kann ihm wünschen, daß in den Wurfsendungen mehr als Erdnußbutter und Erdbeerkonfitüre nebst Plastikbesteck und US-Fähnchen enthalten ist.
Die Karzai-Familie galt seit mehr als hundert Jahren als herrschende Familie in und um Kandahar. Der als Autorität unter den Pashtunen anerkannte Hamid Karzai tritt wie der gefallene Abdul Haq für das Zusammentreten einer Loya Jirga, einer afghanischen Nationalversammlung ein. Nach anfänglicher Unterstützung der Taliban wandte er sich bald von ihnen ab und warnte die Politiker der USA und Europas schon frühzeitig vor ihnen und den Arabern Osama bin Ladens, der sich der Taliban zu eigenen Zwecken bedient. Nun erkennt man ganz schnell, warum die USA zögern, mit Hamid Karzai zusammenzuarbeiten. Er ist auch so jemand wie Abdul Haq, der meinte, Afghanistan gehöre den Afghanen.
Es scheint, das die USA weiterhin den Krieg ohne die Afghanen führen wollen.
Am frühen Morgen des 20. Oktobersetzten sie Spezialtruppen mitten im Talibangebiet ab. Dies geschah während der Dunkelheit, und die Operation wurde aufwendig mit Nachtsichtlinsen fotografiert und am selben Abend (US-Ostküstenzeit) ausführlich in CNN vorgeführt. Auch wir durften für teures Geld, das CNN dafür verlangt, etwas davon auf ARD und ZDF sehen.
Auf einer Pressekonferenz des selben Tages, 12 Uhr 10 Ostküstenzeit, berichtete der Generalstabschef General Richard B. Myers voller Solz von dieser Operation der Zerstörung von Zielen, nämlich terroristischer Operationen und Kommando- und Kontrollpositionen der Taliban. Er wies auf einige Video-Clips hin, die den staunenden Journalisten vorgeführt wurden. Man sah die Spezialkräfte aus den C-130 Flugzeugen ins Dunkel springen sowie ein kleines Waffenversteck mit einigen Handgranaten, einem (!) Maschinengewehr und etwas Munition ausheben. Dann ging Myers rasch zu früheren Operationen über.
Da es sich nach Ansicht der Journalisten bei der Operation um den Beginn des Bodenkrieges handelte, ließen sie nicht locker, aber der Stabschef verzog sich hinter Geheimhaltungsnotwendigkeiten. So beantwortete er auch nicht, wieviele Spezialtruppen beteiligt waren, und ob die Spezialtruppen sich hatten zurückziehen können.Taktik, Technik. Prozedere - alles war streng geheim. Er berichtete vom Widerstand der Taliban, daß "Intelligence" über die al-Qaeda habe gesammelt werden sollen, und daß ein Ziel Kommando- und Kontrollpositionen der Taliban gewesen seien, genauer gesagt, eines von Mullah Mohamad Omars Häusern, ein größerer Gebäudekomplex, der noch nicht zerbombt worden war. Mit der Anwesenheit des Taliban-Chefs habe man kaum gerechnet.
Die Ziele seien erreicht worden und der Verteidigungsminister und er seien stolz auf die Jungs der Spezialtruppen. Auf die Frage eines Journalisten nach dem Erfolg der Luftschläge insgesamt antwortete Myers, der Erfolg zeige sich darin, daß die USA fähig seien, zu der Zeit, die sie für richtig hielten, diejenigen Operationen durchzuführen, die sie bestimmten.
Sozusagen, Krieg an sich ist das Ziel. Wenn das alles ist, fragt frau sich doch, warum die US-Generäle, fernab in ihrem US Central Command CENTCOM, auf dem MacDill Luftwaffenstützpunkt, in Florida, nicht einfach eines der zahlreichen Delta Force Computerspiele spielen, die massenhaft im INTERNET angeboten werden. Das gäbe annähernd den gleichen Kick, gefährdete weniger Leben, und es käme den US-Steuerzahler billiger.
"The real Delta Force unit, was originally created in 1977 and modeled after the British Special Air Service (SAS)", liest frau im INTERNET. Das Spiel beginnt doch vielversprechend. Könnten sich die Generäle damit nicht anfreunden?
Um wieder ernst zu werden: wie Journalisten so sind, besorgen sie sich die Informationen, die sie nicht freiwillig bekommen, anderswo.
Es handelte sich um zwei koordinierte Operationen, von ca. hundert Rangers und einer verstärkten Delta Force Squadron, die 75 km südwestlich von Kandahar aus C-130 Flugzeugen abgesetzt wurden. So informiert der "New Yorker" in seiner neuesten Ausgabe. Weiterhin erfahren wir dort folgendes:
Myers berichtete nicht, daß das Pentagon im Gefolge des nahezu katastrophalen Angriffs auf Mullah Omars Gebäudekomplex die zukünftigen Operationen der Spezialtruppen in Afghanistan neu überdenkt. Die Delta Force Truppen wurden massiv von den Taliban angegriffen, und einige von ihnen mußten ihre Sicherheit hart erkämpfen. Zwölf Mitglieder von Delta Force wurden verwundet, drei davon schwer. Auf die Kampfstärke der Taliban war niemand vorbereitet. Empört waren die Spezialtruppen auch über die Publizität, die mit den Operationen einher ging. Der Fallschirmabsprung der Rangers fand erst statt, als ein Armee-Pfadfindertrupp, der gewöhnlich hinter den feindlichen Linien operiert, die Lage geklärt hatte. Das war eine Schau fürs Fernsehen, die Rangers waren nicht die ersten am Boden. Sie hatten auch keinen Feindkontakt, sondern ihre Aktion diente der Stärkung ihres Selbstvertrauens (!), da viele von ihnen direkt von der Universität in den Kampf gekommen seien. Sozusagen on-the-job-training, learning by doing.
Delta Force Truppen sind in Fort Bragg, Nord-Carolina, stationiert. Sie sind das Beste, das die USA an Kampftruppen aufweisen. Eine Zusammenarbeit mit den wenig geübten Rangers ist für sie lebensgefährlich. Der Publizitätsrummel schadet nur. Die Operationen gemeinsam mit den Rangern diente allein der Schau fürs Pentagon und für CNN. "Tote hätten aufgeweckt werden können!", sagte ein Delta Force Offizier später. Die Operationen waren ein "total goat fuck", was bei ihnen so viel bedeutet wie, alles was schief gehen konnte, ging schief.
Delta Force operiert gewöhnlich absolut diskret in kleinen Gruppen von vier bis sechs Mann, CENTCOM jedoch plante einen Angriff in großem Stil auf Mullah Omars Haus. Mit riesigem Aufwand an Menschen und Material fand man weder den Mullah noch irgendwelche bedeutenden Dokumente ("Intelligence"). Stattdessen sahen sich die Truppen in ein taktisches Gefecht mit verbissen kämpfenden Taliban verwickelt, es gab Verwundete, und die Delta Force Squadron zog sich zurück und schlug sich in kleinen Gruppen zu den wartenden Hubschraubern durch.
Der wichtigste Mißerfolg war, daß das Hauptziel, ein Geheim-Team einzuschleusen, mißlang. Die letzten Soldaten der Truppe flohen gemäß einem Notplan, der E& E genannt wird: "Escape and Evasion", oder zu deutsch auch "Rette sich, wer kann!"
Unmittelbar nach dem Disaster bat das Pentagon um Unterstützung durch britische Spezialtruppen, die Special Air Service (S.A.S.). Das britische Verteidigungsministerium forderte einen sofortigen Stop der Bombardements innerhalb Afghanistans.
Wir meinen, daß das bedeuten würde, daß Dick Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Richard Armitage, Richard Perle und ihre Firmen nicht mehr das große Geld machen können. Die Delta Force Truppen sind wütend, weil sie meinen, daß das Pentagon nicht weiß, was es tut. Wir meinen, die Verantwortlichen wissen dies genau. Sie opfern ihre besten Leute, um ihre Kriegsgewinne einzufahren. Deshalb werden auch immer mehr Luftstützpunkte in Zentralasien eingerichtet. Verhandlungen mit Tadjikistan zum Überlassen dreier alter Sowjetstützpunkte, Kolyab, Kurgan-Tjubeh und Khodjand, für zig Millionen Dollar laufen derzeitig. Die Stützpunkte sind gegenwärtig in erbärmlichem Zustand, und so müssen Firmen wie Dick Cheneys Brown&Roots sich demnächst der Sache annehmen.
Von dort sollen Luftangriffe zur Unterstützung der Nordallianz geflogen werden. Hubschrauber der Spezialtrupppen (Delta Force freut sich sicher schon), Kriegsmaterial und Lebensmittellieferungen für Flüchtlinge könnten von dort aus starten. Da das Inspektionsteam des Pentagon gerade in der Gegend ist, wird es auch mögliche Luftstützpunkte in Kirgistan und in Kasachstan besichtigen. Auch dort brauchen die korrupten Altkommunisten harte Dollars und die USA stationierte Kampfflugzeuge. Das US-Team wird von britischen, türkischen, kanadischen und niederländischen Militärs begleitet. Sie alle müssen sich sachkundig machen, was in der Gegend zu holen ist, und welchen Einsatz dies kosten wird. Donald Rumsfeld hat sich vorab in diese Staaten begeben und entsprechende Verhandlungen geführt. Vorher holte er sich den Segen dazu beim russischen Verteidigungsminister Sergej Iwanow, in Moskau, ab. Die Russen hätten die Nutzung der Stützpunkte befürwortet, schreibt die New York Times.
Stratfor.com berichtete bereits am 10. Oktober, daß für das Frühjahr 2002 die Ausweitung des Krieges zur Unterbindung des Netzwerkes von Osama bin Laden nach Kirgistan vorgesehen ist. So überziehen die USA unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und mit dem Segen der "internationalen Staatengemeinschaft", einschließlich Rußland (!), bald die ganze zentralasiatische Region.
Der Beitrag wertet aus:
- An Afghan Trying to Do "Big Things" at Big Risk, by Jane Perlez, The New York Times, 5.11.2001 - http://www.nytimes.com
- DoD News Briefing, by Gen. Richard B. Myers, Chairman, Joint Chief of Staff, Defense Link News, 20.11.2001 - http://www.defenselink.mil
- Fact Annals of National Security "Escape and Evasion". What happened when the Special Forces landed in Afghanistan? by Seymour M. Hersh, The New Yorker, 2.11.2001 - http:www.newyorker.com
- U.S. May Gain Use of More Air Bases to Strike Taliban, by Michael R. Gordon with C. J. Chivers, The New York Times, 5.11.2001 - http://www.nytimes.com
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Autorin: Dr. Gudrun Eussner, Berlin 05.11.2001
Foto: AK Foto
Quelle: © Philosophischer Salon, Berlin
www.kalaschnikow.de
Update: Berlin Di., 06.11.2001
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