Die Energiepolitik der USA und deren Krieg gegen Afghanistan
Warum Osama bin Laden möglichst nicht gefunden und die Taliban nicht besiegt werden sollten

"Europa stellt sich Fragen über die US-amerikanische Strategie in Afghanistan" und "Die Kriegführung alarmiert Europa" - so heißen die Schlagzeilen der französischen Zeitung "Le Monde", am Mittwoch, den 31. Oktober 2001.
Da ist frau aber verwundert. Was gibt es denn da plötzlich zu fragen und alarmiert zu sein?
Die USA sind gezwungen, den Krieg weiter zu führen, anderenfalls ihre Energiepolitik wie ein Kartenhäuschen zusammenbricht. Die Nordallianz darf keinesfalls strategische Siege erringen, denn dann würde sie sich der Bodenschätze Afghanistans bemächtigen können. Diese liegen hauptsächlich im Norden und im Nordwesten des Landes. Die Nordallianz wird traditionell von Rußland unterstützt. Ein rascher Sieg der Nordallianz würde das geostrategische Kräfteverhältnis nicht nur in der zentralasiatischen Region, sondern insgesamt neu bestimmen und das Ende der Vormachtstellung der USA auf dem Erdöl-, Naturgas- und Kohlemarkt einläuten. Dies, obgleich die USA weltweit an elfter Stelle bei den Erdölreserven, an sechster beim Erdgas und sogar an erster Stelle bei den Kohlevorkommen stehen. Die anderen Länder haben eben zusammengenommen sehr viel größere Vorräte.
Es müssen also erst genug US- und britische Spezialtruppen in Afghanistan sein, um den Besitz der Bodenschätze zu sichern.
Deshalb müssen Vormärsche der Nordallianz durch versehentliche Bombardierungen derer Stellungen konterkarriert und Lebensmittellager des Internationalen Roten Kreuzes und Krankenhäuser ebenso versehentlich weggeputzt werden. Deshalb auch wird der Nordallianz vorgegeben, nicht in die Hauptstadt Kabul einzumarschieren - und nicht etwa einer mit anderen Bevölkerungsgruppen zu bildenden Regierung der Versöhnung wegen.
Die Menschenrechtsverletzungen der Nordallianz-Kriegschefs spielen übrigens keine Rolle. Dies wird, im Gegensatz zur Propaganda während des Jugoslawienbombardements auch gar nicht erst behauptet. Seinerzeit wurden die Terroristen der UCK als Freiheitskämpfer vorgestellt. Den USA wäre auch im Falle Afghanistans jede Regierung recht, die ihren Interessen nicht im Wege steht, sondern sie möglichst fördert.
Der Krieg gegen Afghanistan nötigt die zentralasiatischen Staaten, sich in einer "Anti-Terrorkoalition" um die USA zu scharen und diesen weitreichende Vollmachten zum geheimdienstlichen Auskundschaften der Gegend, bis hinein nach Rußland und China, sowie Militärstützpunkte zur Bekämpfung der Taliban zu geben. Die Nötigung wird mit einem reichen Dollarsegen sowie mit anerkennenden Sprüchen der US-Regierung über den Fortschritt dieser Staaten auf dem Wege in die Demokratie, sprich: in die Neue Weltordnung für die korrupten Altkommunisten abgefedert. Nazi, nazi, gol-e piazi ....
Afghanistan wird von den USA in verschiedener Hinsicht präpariert:
- als Durchleitgebiet für Erdöl- und Erdgas-Pipelines aus Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan,
- zur billigen Ausbeutung der afghanischen Bodenschätze Erdöl, Erdgas und Kohle,
- als Protektorat, von dem aus die umliegenden Staaten, Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadjikistan, China (!) und Pakistan nach Belieben destabilisiert werden können,
- als Aufmarschgebiet zur Ausdehnung der Anti-Terrorkampagne gegen Kirgistan, spätestens ab Frühjahr 2002.
Es gibt also viele Gründe, warum der Krieg gegen das afghanische Volk sich hinziehen muß, militärische, ökonomische und geostrategische.
Einer der wichtigsten Gründe ist die Absicht der USA, die aufkommende Weltmacht China zu schwächen. Die Einbindung Chinas in die "Anti-Terrorkoalition" diente diesem Zweck. "Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns", war kein dummer Spruch des George W. Bush, sondern ein kalkulierter Einschüchterungsversuch gegenüber China, das von den USA auf dem APEC-Treffen, 20.-21. Oktober, in Shanghai, über seinen inferioren Stand in der Welt belehrt wurde. Eine ökonomische Führungsrolle Chinas im asiatisch-pazifischen Raum wird durch die USA mittels der Anti-Terrorkampagne hintertrieben. Ähnliches gilt übrigens auch für Europa, das durch diese Kampagne in seinen Handlungen gelähmt wird - oder sich lähmen läßt. Wenn ein Bundeskanzler darauf wartet, mitbomben zu dürfen, haben er und seine europäischen Partner nicht mehr viel Spiel, sich zu positionieren.
Ein weiterer Grund für die zeitliche Ausdehnung des Krieges gegen Afghanistan ist der Wille der USA, für die nächsten Jahrzehnte die Welt-Energiepolitik in ihrem Sinne festzulegen. Dazu bedarf es der Zeit. Je länger sie sich unter dem Vorwand der "Anti-Terrorkoalition" in den ehemaligen Sowjetrepubliken aufhalten, desto sicherer machen sie sich dort die Förderung der Bodenschätze untertan. Wenn die Bodenschätze Zentralasiens von ihren Besitzern, den ehemaligen südlichen Sowjetrepubliken, in einer halbwegs stabilen politischen Lage gefördert und auf von diesen Republiken selbst bestimmten Märkten vermarktet werden könnten, dann wäre das für die Vormachtstellung ("Hegemonie") der USA sehr schlecht. Sie wollen nicht ehrlich und anständig bezahlen für das, was sie an Bodenschätzen fördern, sondern sie wollen die Staaten ausplündern, so wie es jetzt schon in Saudi-Arabien, Kuwait und den anderen Emiraten des Golfs geschieht.
Europa betrachtet dies mit Wohlwollen, weil es sich auch jetzt wieder einen preisgünstigen von den USA bereiteten Zugang zu diesen Märkten verspricht. Die EU hat wohl noch Probleme damit zu erkennen, daß wir nicht mehr in der WWII-Nachkriegszeit mitsamt dem Kalten Krieg leben, sondern daß in der Beziehung der USA zur EU schon längst "Schluß mit lustig" ist.
Die USA sind ebenso gezwungen, dem Irak ständig mit verschärften Kriegsdrohungen zu kommen, ihn, wie schon seit zehn Jahren, von der Weltöffentlichkeit (der "internationalen Staatengemeinschaft") unwidersprochen zu zerbomben und seine Bevölkerung mit Elend zu überziehen, denn dieses Land besitzt der Welt zweitgrößte Erdölvorkommen. Wenn sie unkontrolliert auf den Markt kämen, könnten die USA und ihre Ölkonzerne den Erdölpreis nicht mehr über die OPEC kontrollieren. Gegenwärtig steht der Preis bei 19 Dollar pro Barrel, so daß die Heizkosten der rezessionsgefährdeten westlichen Staatengemeinschaft sowie die Preise und damit die Inflation in diesen Ländern sich in Grenzen halten werden. Wie beruhigend für uns. Schon dafür schulden wir den USA großen Dank.
Wenn die OPEC die Preise hochhalten will, muß sie verhindern, daß der Irak unkontrolliert, an UN-Kontrolleuren vorbei, Erdöl auf den Markt bringt. Ein richtiger Krieg könnte da helfen. Den fordern die jetzt in der Bush-Regierung tonangebenden Rumsfeld, Wolfowitz, Armitage, Perle schon seit dem 26. Januar 1998. Richard Armitage, Stellvertretender US-Außenminister, heizt die Stimmung gerade wieder an und droht dem Irak mit Militärschlägen. Die Ermordung oder wenigstens die "Eindämmung" Saddam Husseins soll eher der Verhinderung von durch die USA nicht kontrollierter Erdölförderung dienen. Ein richtiger Krieg gegen den Irak ist zur Zeit unwahrscheinlich, schon allein, um die islamischen Staaten der "Anti-Terrorkoalition" nicht zu verprellen.
Israel und Palästina und deren unglückliche Bevölkerungen spielen dabei übrigens überhaupt keine Rolle. Die Lage dort wird eher als Vorwand genommen.
Die USA machen mit diesen Drohungen deutlich, daß sie die militärpolitische Initiative behalten. Deshalb auch zögern sie den Bombenkrieg gegen Afghanistan so hin. Solange dieser währt, kommen andere Staaten nicht in die Vorderhand, ob es sich nun um die EU, Rußland, China oder um Israel handeln mag. Da hilft auch kein Rumgeturne des deutschen Außenministers in der Gegend oder ein Besuch des Bundeskanzlers in Indien ("der Kanzler lobt Indien!"). Die von den USA bewußt initiierten unberechenbaren Aktionen halten die Welt in Atem. Nichts überlassen die USA dem Zufall (das war übrigens schon im Vietnamkrieg so). Alle Staaten der "Anti-Terrorkoalition" liefern artig ihre Erkenntnisse ("Intelligence") bei Uncle Sam ab, und alle sind hübsch in Schach!
Warum sich Europa heute Fragen über die US-amerikanische Strategie und Kriegführung in Afghanistan stellt, bleibt unerfindlich. Die Antworten sind alle längst gegeben.
-
Autorin: Dr. Gudrun Eussner, Berlin 31.10.2001
Foto: AK Foto
Quelle: © Philosophischer Salon, Berlin
www.kalaschnikow.de
Update: Berlin Fr., 02.11.2001
|