F. W. Hegel und die Dialektik

von
Wal Buchenberg, 4.2.2002

02/02
 
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Eine bestimmte Marx-Tradition sieht in dem Fortschritt der Philosophie, der in der Dialektik Hegels gipfelt, ein wichtiges - wenn nicht das wichtigste - Element des Marx’schen Denkens. Tatsächlich war Hegels Philosophie nur Auswirkung des vorangegangenen wissenschaftlichen Fortschritts.

Die Wissenschaft, nicht die Philosophie, ist eine vorwärtstreibende Kraft der Geschichte. Die geistige Entwicklung von Marx führte weg von jeder Philosophie hin zur Wissenschaft.

1. Was ist Dialektik? Dialektik ist der Versuch, die Welt und jedes Einzelding im zeitlichen Ablauf, d. h. in der Veränderung zu begreifen.

1.1 Dialektik der Vorsokratiker bis Platon:
Die philosophische Dialektik wurde zunächst gewonnen aus der Beobachtung der Verwandlungen in der organischen Natur und so von den griechischen Naturphilosophen (Vorsokratiker) erstmals formuliert. Diese ersten Naturphilosophen lebten zwar schon in Städten, aber ihre Philosophie ist in erster Linie die theoretische Verarbeitung der Welterfahrung von Hirten und Bauern.
Mit der Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte durch das Handwerk, das versucht, Beständiges zu produzieren - beständige Werkzeuge und beständige Produkte -, wurde im griechischen Denken nicht mehr die Veränderung, sondern die Dauer, das SEIN, betont. Dieses dauerhafte, unveränderliche Sein wurde von den Philosophen aus dem menschlichen Arbeitsprozess in ihr Naturbild übertragen.
Klassischer Vertreter dieses Denkens war Platon.
Platon beschrieb als erster Philosoph das Werden als Arbeitsprozess, das Sein als sein Produkt:
„Im Augenblick aber müssen wir uns drei Gattungen denken: Das Werdende (Produkt), das, worin es wird (Material), und das woher nachgebildet das Werdende geboren wird (Plan des Handwerker-Produzenten).“ Platon, Timaios 50 d.

Marx beschrieb den Arbeitsprozess u.a. in ähnlichen philosophischen Begriffen:
„Der Prozess erlischt im Produkt. ... Was auf Seiten des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als ruhende Eigenschaft, in der Form des Seins, auf Seiten des Produkts.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 195.

„Während des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit beständig aus der Form der Unruhe in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenständlichkeit um.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 204.

Als vollkommenes, weil göttliches Produkt schien die Natur im philosophischen Handwerker-Denken seit Platon keiner Änderung unterworfen.
Platon:
„Wird aber nicht jedes Vortrefflichste am wenigsten von einem anderen verändert und bewegt? ... Allerdings wohl. ...Und so gewiss auch alles zusammengesetzte Gerät und Gebäude und Bekleidungen werden nach derselben Regel, je besser sie gearbeitet und geraten sind, um desto weniger von der Zeit und anderen Einwirkungen verändert. - So ist es allerdings. - Also alles Vollkommene von Natur oder durch Handwerk oder durch beides nimmt die wenigste Veränderung durch anderes an. - So zeigt es sich. - Aber Gott, und was Gottes ist, muss doch in jeder Hinsicht vollkommen sein. - Notwendig. ...“ Platon, Politeia 380 e - 381 b.

Indem die auf Platon folgenden Denker die Natur als unveränderlich ansahen, wurde dieser Natur keine höhere Würde zugesprochen als der menschlichen Arbeit. Die Entstehung der Natur wurde als vollkommene handwerkliche Schöpfung, als göttlicher Arbeitsprozess, gedacht. Der menschliche Arbeitsprozess blieb das (versteckte) Paradigma der philosophischen Naturbetrachtung seit Platon.

1.2 Hegels Dialektik
Erst mit der Entwicklung des Kapitalismus und der neuzeitlichen Technologie entwickelte sich als großer wissenschaftlicher Fortschritt allmählich wieder die Erkenntnis von der ständigen Veränderung in der Natur, es entstand die moderne Evolutionstheorie.
„... Wo wäre ohne Industrie und Handel die Naturwissenschaft? Selbst diese ‚reine’ Wissenschaft erhält ja ihren Zweck sowohl wie ihr Material erst durch Handel und Industrie, durch sinnliche Tätigkeit der Menschen.“ K. Marx, F. Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, 44.

„Die Entwicklung dieser Wissenschaft, besonders der Naturwissenschaft, und mit ihr aller anderen, steht selbst wieder im Verhältnis zur Entwicklung der materiellen Produktion.“ K. Marx, Grundrisse, 592.

Die Hegelsche Dialektik ist nichts anderes als die Übertragung der wissenschaftlichen Evolutionstheorie in die Philosophie.
In der Hegelschen Philosophie
wurde „zum erstenmal - und das ist sein großer Verdienst - die ganze natürliche, geschichtliche und geistige Welt als ein Prozess, d.h. als ein in steter Bewegung, Veränderung, Umbildung und Entwicklung begriffen dargestellt ...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 22.
Dass durch Hegel „zum erstenmal“ die Welt als Prozess dargestellt habe, ist für sich genommen falsch. Aber Hegel war der erste, der versuchte, das uralte philosophische Prozessdenken mit einem modernen wissenschaftlichen Weltbild zu verbinden.

Man kann und muss jedoch diesen Begriff „Prozess“ präzisieren:
Auch Hegel fasste wie Platon die Welt als ARBEITSPROZESS auf. Aber anders als Platon, der die Natur als zur Ruhe gekommenen Arbeitsprozess ansah (= Produkt), sah Hegel die Natur und die Geschichte als ständigen Arbeitsprozess in actu - als Arbeitsprozess der göttlichen Idee -, der nie zur Ruhe kommt, dessen Produkte immer nur vorläufig sind und nur zum Material eines folgenden Arbeitsprozesses werden.

„Das Große an der Hegelschen ‚Phänomenologie’ .. ist also einmal, dass Hegel die Selbsterzeugung des Menschen als einen Prozess fasst, ... dass er also das Wesen der Arbeit fasst und den gegenständlichen Menschen, wahren, weil wirklichen Menschen als Resultat seiner eigenen Arbeit begreift. ... Hegel steht auf dem Standpunkt der modernen Nationalökonomen. Er erfasst die Arbeit als das Wesen, als das sich bewährende Wesen des Menschen; ... Die Arbeit, welche Hegel allein kennt und anerkennt, ist die abstrakt geistige.“ Philosophisch-ökonomische Manuskripte, MEW 40, 574.

„Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Schöpfer des Wirklichen, das nur seine äußere Erscheinung bildet.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 27.

Der Denkprozess der göttlichen Idee ist also gleichzeitig der Arbeitsprozess in dem die Naturwelt geschaffen und weiterentwickelt wird.
Auch im Detail finden sich bei Hegel wie bei Platon immer wieder die Elemente des menschlichen Arbeitsprozesses: Plan (Idee) - Mittel (Material und Werkzeug) - Zweck (Produkt). Z.B.:

„Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Tätigkeit auf diesen Gegenstand dienen. Er benutzt die mechanischen, physikalischen, chemischen Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemäß, wirken zu lassen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 194. Dazu merkte Marx folgenden Gedanken Hegels an:
„Die Vernunft ist ebenso listig als mächtig. Die List besteht überhaupt in der vermittelnden Tätigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemäß aufeinander einwirken und sich aneinander abarbeiten lässt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozess einzumischen, gleichwohl nur ihren Zweck zur Ausführung bringt.“ Hegel, Enzyklopädie I. zit. n. K. Marx, Kapital I, MEW 23, 194.

2. Widerspruch (Gegensatz)
Marx nannte den Widerspruch „die Springquelle aller Dialektik“. K. Marx, Kapital I. MEW 23, 623 Anm. 41.

2.1. „Gegensatz“ oder „Widerspruch“ sind Begriffe, die aus dem Streitgespräch stammen: Einer macht die Aussage A, ein anderer widerspricht und sagt B. B steht dann im Gegensatz oder im Widerspruch zu A.
Die griechischen Philosophen liebten das Streitgespräch und sahen darin eine Herausforderung des Denkens:
„Dieses nun wollte ich auch jetzt sagen, dass einiges auffordernd für die Vernunft ist, anderes nicht; was nämlich in die Sinne fällt zugleich mit seinem Gegenteil, das fordert zum Denken auf.“ Platon, Politeia 524 d.

2.1.1. Wie sich im Streitgespräch aus einem Satz und seinem Gegensatz eine Rede oder ein Gedankengang (Griechisch: Logos) entwickelt, so wurde in der griechischen Philosophie seit Anaximander angenommen, dass sich Vorgänge in der Natur in Gegensätzen entwickeln, dass Veränderungen aus „Gegensätzen“ entstehen, weil man keine genaue Kenntnis und keine präziseren Worte dafür hatte.
„Andere nehmen aber an, dass sich aus dem Einen die dort befindlichen Gegensätze ausscheiden, wie Anaximander sagt.“ Aristoteles, Physik, A 4, 187a13. (vgl. Die Vorsokratiker I, Reclam, Anaximander 5.)

„Betrachte es nun nicht allein an Menschen, fuhr jener fort, ... sondern auch an den Tieren insgesamt und den Pflanzen; und überhaupt an allem, was eine Entstehung hat. Lass uns zusehen, ob etwa alles so entsteht, nirgends anders her als jedes aus seinem Gegenteil, was nur ein solches hat. Wie doch das Schöne von dem Hässlichen das Gegenteil ist und das Gerechte von dem Ungerechten, und ebenso tausend Anderes sich verhält.
Dieses also lass uns sehen, ob nicht notwendig, was nur ein Entgegengesetztes hat, nirgends anders her selbst entsteht als aus diesem ihm Entgegengesetzten. So wie, wenn etwas größer wird, muss es doch notwendig aus irgend vorher kleiner Gewesenem hernach größer werden? ...
Und ebenso aus Stärkerem das Schwächere und aus Langsamerem das Schnellere? - Gewiss. - ...
Dies also, sprach er, haben wir sicher genug, dass alle Dinge so entstehen, das Entgegengesetzte aus dem Entgegengesetzten. ...
Wenn wir auch bisweilen die Worte dazu nicht haben, muss es sich doch der Sache nach überall so verhalten, dass eines aus dem anderen entsteht und dass es ein Werden von jedem zu dem anderen gibt. - Gewiss.“ Platon, Phaidon 70 d - 71 b.

„Im Gegensatz sei das Entstehen des einen, der Untergang des anderen und umgekehrt. Wenn Bewegung weggenommen wird, entsteht Ruhe, wenn Bewegung entsteht, hört die Ruhe auf ... Was im Gegensatz ist, hat keine Mitte; z.B. zwischen Krankheit und Gesundheit, Leben und Tod, ... Ruhe und Bewegung gibt es kein Drittes.
Hingegen, was im Verhältnisse ist, hat eine Mitte: Zwischen dem Größeren und Kleineren nämlich ist das Gleichgroße ....“ Pythagoras, zit. nach F. W. Hegel, Geschichte der Philosophie I., Suhrkamp-Werke, 246f.
Hegel fügte dem hinzu: „Es zeigt diese Darstellung allgemein logische Bestimmungen, die jetzt und immer von der höchsten Wichtigkeit sind;“ F. W. Hegel, Geschichte der Philosophie, I., Suhrkamp-Werke, 247.
 
2.1.2. Solange wir von einer bestimmten Entwicklung die präzisen Gründe ihrer Veränderung nicht haben, solange ist es gerechtfertigt zu sagen: Die Dinge verändern und entwickeln sich durch innere Gegensätze oder innere Widersprüche. Diese vorwissenschaftliche, philosophische Ausdrucksweise wurde vor allem von F. W. Hegel zu einer Kunstsprache ausgebildet, indem er alle Veränderungen in der Natur, der Geschichte und unserem Denken auf die Entwicklung von Widersprüchen oder Gegensätzen reduzierte.
„Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend.“ F. W. Hegel, Die Wissenschaft der Logik II, Suhrkamp-Werke, 74.

„Alles ist entgegengesetzt.“ F. W. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke, 246.

„Alles, was irgend ist, das ist ein Konkretes, somit in sich selbst Unterschiedenes und Entgegengesetztes. ... Was überhaupt die Welt bewegt, das ist der Widerspruch...“ F. W. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke, 246f.

„Jede Entwicklung, welches ihr Inhalt sei, lässt sich darstellen als eine Reihe von verschiedenen Entwicklungsstufen, die so zusammenhängen, dass die eine die Verneinung (= einen Gegensatz) der anderen bildet.“ K. Marx, Moralisierende Kritik, MEW 4, 336.

Der Volksmund sagt: Alle Dinge ändern sich. Nix bleibt wie es ist. Oder: Jedes Ding hat zwei Seiten.
Was der Volksmund einfach und in bekannten Worten auszudrücken weiß, das weiß der Philosoph kompliziert und in ungewöhnlichen Worten auszudrücken.
„Die Menschen haben dialektisch gedacht, lange ehe sie wussten, was Dialektik war, ebenso wie sie schon Prosa sprachen, lange bevor der Ausdruck Prosa bestand.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 133.

„Es versteht sich von selbst, dass ich über den besonderen Entwicklungsprozess, den z.B. das Gerstenkorn von der Keimung bis zum Absterben der fruchtragenden Pflanze durchmacht, gar nichts sage, wenn ich sage, es ist Negation der Negation ...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 131.

2.2. Berechtigt war diese philosophische Widerspruch-Sprache gegenüber der traditionellen Ansicht von der Unveränderlichkeit des Welt.
„Der Satz der Identität ... ist der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes Ding ist sich selbst gleich. Alles war permanent, Sonnensystem, Sterne, Organismen. Dieser Satz ist von der Naturforschung in jedem einzelnen Fall Stück für Stück widerlegt..., wird jedoch von den Anhängern des Alten immer noch dem Neuen entgegengehalten: Ein Ding kann nicht gleichzeitig es selbst und ein anderes sein.“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, 484.

2.3. Das Verhältnis der dialektischen Logik zur klassischen Logik
Die Vertreter der klassischen Logik haben mit allen ihren Lehrsätzen recht, insofern sie für die beobachtete Wirklichkeit die Zeit t = 0 setzen. Unter dieser Voraussetzung stehen alle Aussagen der klassischen Logik und unter dieser Voraussetzung sind sie auch korrekt.
Bewährt hat sich dieses Denken vor allem in der Technologie des Arbeitsprozesses und für alle kurzen Zeiträume, in denen keine grundlegenden Veränderungen auftreten.
Für längere Zeiträume und für Entwicklungen mit grundlegenden Änderungen werden alle Aussagen der klassischen Logik falsch. Hier hilft nur dialektisches Denken.
„Wie die Mathematik der veränderlichen sich zu der der unveränderlichen Größen verhält, so verhält sich überhaupt dialektisches Denken zu metaphysischem.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 113.

3. Wie viel Wissenschaft steckt in Hegels Logik?
Da die Hegelsche Philosophie auf  den Entdeckungen moderner Wissenschaft, wie z.B. der Evolutionstheorie, beruht, enthält seine dialektische Logik auch wissenschaftlich nützliche Erkenntnisse:

„Hier, wie in der Naturwissenschaft, bewährt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner ‚Logik‘ entdeckten Gesetzes, dass bloß quantitative Veränderungen auf einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen. ...Die in der modernen Chemie angewandte ... Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze... Wir bemerken zur Erklärung dieser für den Nichtchemiker ziemlich dunklen Anmerkung, dass der Verfasser hier von dem von C. Gebhardt 1843 zuerst so benannten ‚homologen Reihen‘ von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht, von denen jede eine eigne algebraische Zusammensetzungsformel hat...“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 327 und Anm. 205a.
Indem jedoch Hegel alle bisherigen philosophischen Begrifflichkeiten (Kategorien) einfach übernahm, indem er sie miteinander verband, schuf er daraus seine dialektische Logik, einen „Wunderapparat“ (K. Marx, MEW 2, 145), mit dem sich scheinbar alle Fragen beantworten ließen.

„Die spekulative Philosophie, namentlich die Hegelsche Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner Fragen ihre Antwort bereit halten.“ K. Marx, Die hl. Familie, MEW 2, 95

Hegel selber bestritt, dass man durch Studium der Logik richtig denken lerne:
„Dass man durch sie denken lerne, was sonst für ihren Nutzen und damit für den Zweck derselben galt - gleichsam als ob man durch das Studium der Anatomie und Physiologie erst verdauen und sich bewegen lernen soll -  dies Vorurteil hat sich längst verloren...“ G. W. F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Suhrkamp-Ausgabe, 14.

Als Marx an seinem „Kapital“ arbeitete, schrieb er an Engels:
„Übrigens finde ich hübsche Entwicklungen. Z. B. die ganze Lehre vom Profit, wie sie bisher war, habe ich über den Haufen geworfen.
In der Methode des Bearbeitens hat es mir großen Dienst geleistet, dass ich durch bloßen Zufall - Freiligrath fand einige, ursprünglich dem Bakunin gehörige Bände Hegels und schickte sie mir als Präsent - Hegels ‚Logik’ wieder durchgeblättert hatte.“ K. Marx an Engels, MEW 29, 260.

„Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Händen erleidet, verhindert in keiner Weise, dass er ihre allgemeinen Bewegungsformen zuerst in umfassender und bewusster Weise dargestellt hat. Sie steht bei ihm auf dem Kopf. Man muss sie umstülpen, um den rationellen Kern in der mystischen Hülle zu entdecken.
In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Methode, weil sie das Bestehende zu verklären schien. In ihrer rationellen Gestalt ist sie dem Bürgertum und seinen doktrinären Wortführern ein Ärgernis und ein Gräuel, weil sie in dem positiven Verständnis des Bestehenden zugleich auch das Verständnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs einschließt, jede gewordene Form im Flusse der Bewegung, also auch nach ihrer vergänglichen Seite auffasst, sich durch nichts imponieren lässt, ihrem Wesen nach kritisch und revolutionär ist.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 27f.

Wie viel rationellen Kern enthält also die Hegelsche Dialektik?
Marx schrieb an Engels: „Wenn je wieder Zeit für solche Arbeiten kommt, hätte ich große Lust, in 2 oder 3 Druckbögen das Rationelle an der Methode, die Hegel entdeckt, aber zugleich mystifiziert hat, dem gemeinen Menschenverstand zugänglich zu machen.“ K. Marx an Engels, MEW 29, 260.

Rechnet man einen Druckbogen mit rund 20 Buchseiten, dann passt das Rationelle an Hegels Dialektik nach Marx’ Meinung auf 40 bis 60 Buchseiten. Hegels Dialektik umfasst aber rund 1000 Buchseiten. 50 Buchseiten wären im Vergleich zu 1000 Seiten gleich 0,5 Prozent Rationelles und 99,5 Prozent Mystifikation.

Lenin bezifferte später den Anteil des Rationellen an Hegels Logik deutlich höher, nämlich auf 10 Prozent. Er schrieb über Hegels Logik:
„Daraus muss man zunächst die materialistische Dialektik herausschälen. Es sind aber zu 9/10 Schale, Schutt.“ Lenin, Konspekt zu Hegels ‚Wissenschaft der Logik’. Zweiter Abschnitt. Die Erscheinung.

Wer die wichtigsten Hegelschen Begrifflichkeiten lernen will - soweit sie nützlich sind -, findet - auf 22 Buchseiten - eine Darstellung von F. Engels im Anti-Dühring, MEW 20, 111 -133.

4. Was unterscheidet Marx von Hegel?
Diese Frage ist dieselbe wie die Frage: Was unterscheidet die Philosophie von Wissenschaft?
Der Unterschied zwischen der philosophischen Methode und jeder wissenschaftlichen Methode ist leicht zu begreifen: Philosophie heißt, in allen Dingen ewige Wahrheiten und ewige Kategorien wie „Gattung“, „Gegensatz“ und „Widerspruch“ zu suchen.
Wissenschaft heißt, die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.

4.1. Die Marx’sche Methode ist nichts anderes als die wissenschaftliche Forschungsmethode. Sie geht von den sich verändernden Tatsachen aus, von dem historischen Gegenstand, nicht von einem feststehenden - wenn auch sehr flexiblem - Begriffsapparat.
Hegel „entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertigen und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordenen Denken.“ K. Marx, MEW I, 213.

„Dies Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.“ K. Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 296.

„Es kommt überall nicht mehr darauf an, Zusammenhänge im Kopf auszudenken, sondern sie in den Tatsachen zu entdecken.“ F. Engels, Feuerbach, MEW 21, 306.

„Alle Definitionen sind wissenschaftlich von geringem Wert.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 77.

„Definitionen sind für die Wissenschaft wertlos, weil stets unzulänglich. Die einzig reelle Definition ist die Entwicklung der Sache selbst, und diese ist aber keine Definition mehr.“ F. Engels, 20, 578.

Es gibt das „Missverständnis, dass Marx da definieren will, wo er entwickelt, und dass man überhaupt bei Marx nach fix und fertigen, ein für allemal gültigen Definitionen suchen dürfe.
Es versteht sich ja von selbst, dass da, wo die Dinge und ihre gegenseitigen Beziehungen nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden, auch ihre Gedankenabbilder nicht als fixe, sondern als veränderliche aufgefasst werden, auch ihre Gedankenabbilder, die Begriffe, ebenfalls der Veränderung und Umbildung unterworfen sind; dass man sie nicht in starre Definitionen einkapselt, sondern in ihrem historischen bzw. logischen Bildungsprozess entwickelt.“ F. Engels, Vorwort zu Kapital III, MEW 25, 20.

„’Für Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phänomene zu finden, mit deren Untersuchung er sich beschäftigt. Und ihm ist nicht nur das Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben und in einem Zusammenhang stehen, wie er in einer gegebenen Zeitperiode beobachtet wird. Für ihn ist noch vor allem wichtig das Gesetz ihrer Veränderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Übergang aus einer Form in die andere, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in eine andere. ...
Die Kritik (kann), ... weniger als irgend etwas anderes, irgendeine Form oder irgendein Resultat des Bewusstseins zur Grundlage haben ... Das heißt, nicht die Idee, sondern nur die äußere Erscheinung kann ihr als Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschränken auf die Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee, sondern mit der anderen Tatsache. Für sie ist es nur wichtig, dass beide Tatsachen möglichst genau untersucht werden ...’ (I. I. Kaufmann über ‚Das Kapital’ von Marx)
Indem I. I. Kaufmann das, was er meine wirkliche Methode nennt, so treffend und, soweit meine persönliche Anwendung derselben in Betracht kommt, so wohlwollend schildert, was anderes hat er geschildert als die dialektische Methode?“ K. Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 25 - 27.

„Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden.“ K. Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 27.

„Bei der Analyse ökonomischer Formen kann außerdem weder das Mikroskop dienen noch chemische Reagenzien. Die Abstraktionskraft muss beide ersetzen.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 12.

„Übrigens löst sich in dieser Auffassung der Dinge, wie sie wirklich sind und geschehen sind ... jedes tiefsinnige philosophische Problem ganz einfach in ein empirisches Faktum auf.“ K. Marx/ F. Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 43.

„Nur dadurch, dass man an die Stelle der sich widersprechenden Dogmen die sich widersprechenden Tatsachen und die realen Gegensätze stellt, die ihren verborgenen Hintergrund bilden, kann man die politische Ökonomie in eine positive Wissenschaft verwandeln.“ K. Marx an Engels, 10.10.1868, MEW 32, 181.

4.2. Wissenschaft geht zwar von den nachprüfbaren Tatsachen aus, bleibt aber nicht dabei stehen, sondern führt zu einer Wesenserkenntnis, die die Tatsachen scheinbar hinter sich lässt und dadurch die Tatsachen verstehbar macht.
„Wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich ist, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, S. 335.

„alle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen...“ K. Marx, Kapital III., S. 825.

4.3. Die Verwendung der fremdartigen Hegelschen philosophischen Terminologie ist in der Wissenschaft nicht hilfreich, sondern störend.
„Da die unpersönliche Vernunft der Hegelschen Philosophie außer sich weder einen Boden hat, auf den sie sich stellen kann, noch ein Objekt, dem sie sich entgegenstellen kann, noch ein Subjekt, mit dem sie sich verbinden kann, sieht sie sich gezwungen, einen Purzelbaum zu schlagen und sich selbst zu ponieren (zu setzen), zu opponieren (entgegenzusetzen) und zu komponieren - Position (Satz), Opposition (Gegensatz), Komposition.
Um griechisch zu sprechen, haben wir These, Antithese und Synthese. Für die, welche die Hegelsche Sprache nicht kennen, lassen wir die Weihungsformel folgen: Affirmation, Negation, Negation der Negation. Das nennt man reden. Es ist zwar kein Hebräisch ....; aber es ist die Sprache dieser reinen, vom Individuum getrennten Vernunft. An Stelle des gewöhnlichen Individuums mit seiner gewöhnlichen Art zu reden und zu denken, haben wir lediglich diese gewöhnliche Art an sich, ohne das Individuum. ...
... Einmal dahin gelangt, sich als These zu setzen, spaltet sich diese These, indem sie sich selbst entgegenstellt, in zwei widersprechende Gedanken, in Positiv und Negativ, in Ja und Nein.
Der Kampf dieser beiden gegensätzlichen ... Elemente bildet die dialektische Bewegung. Das Ja wird Nein, das Nein wird Ja, das Ja wird gleichzeitig Ja und Nein, das Nein wird gleichzeitig Nein und Ja; auf diese Weise halten sich die Gegensätze die Waage, neutralisieren sich, heben sie sich auf.
Die Verschmelzung dieser beiden widersprechenden Gedanken bildet einen neuen Gedanken, die Synthese derselben. Dieser neue Gedanke spaltet sich wiederum in zwei widersprechende Gedanken, die ihrerseits wiederum eine neue Synthese bilden. Aus dieser Zeugungsarbeit erwächst eine Gruppe von Gedanken. ...
Man wende diese Methode auf die Kategorien der politischen Ökonomie an, und man hat ... die aller Welt bekannten ökonomischen Kategorien in eine wenig bekannte Sprache übersetzt, in der sie aussehen, als seien sie soeben funkelneu einem reinen Vernunftskopf entsprungen...“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 127 - 129.

„Die spekulative Philosophie, namentlich die Hegelsche Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner Fragen ihre Antwort bereit halten.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 95.

„Die halb-Hegelsche Ausdrucksweise in vielen Passagen meines alten Buches (Lage der Arbeiter in England, wb), ist nicht nur unübersetzbar, sondern hat sogar im Deutschen den größten Teil ihrer Bedeutung verloren. Ich habe sie daher soviel als möglich modernisiert.“ F. Engels an seine amerikanische Übersetzerin, 25.02.1886, MEW 36, 452.

4.4. Als „gelernter Philosoph“ war auch K. Marx versiert in dieser ungewöhnlichen, hegelianischen Sprache.
Über eine Behauptung in einem seiner Zeitungsartikel schrieb Marx an Engels:
„Es ist möglich, dass ich mich blamiere. Indes ist dann immer mit einiger Dialektik wieder zu helfen. Ich habe natürlich meine Aufstellungen so gehalten, dass ich im umgekehrten Fall auch recht habe.“ Marx an Engels, 15.8.1857. MEW 29, 161.

Bei Marx finden sich geheimnisvoll-hegelianische Sätze:
„Das einfache Faktum, dass die Ware doppelt existiert, einmal als bestimmtes Produkt, das seinen Tauschwert in seiner natürlichen Daseinsform ideell enthält (latent enthält), und dann als manifestierter Tauschwert (Geld), der wieder allen Zusammenhang mit der natürlichen Daseinsform des Produkts abgestreift hat, diese doppelt verschiedene Existenz muss zum Unterschied, der Unterschied zum Gegensatz und Widerspruch fortgehen.“ K. Marx, Grundrisse, 65.

Bei Marx finden sich Sätze wie aus einem Philosophie-Lehrbuch:
„Es ist z. B. ein Widerspruch, dass ein Körper beständig in einen andren fällt und ebenso beständig von ihm wegflieht. Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich ebenso sehr verwirklich als löst.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 118f.

„Wenn ein Verhältnis Gegensätze einschließt, so ist es also nicht nur Gegensatz, sondern Einheit von Gegensätzen.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III. MEW 26.3, 96.

Aber solche philosophischen Sätze stehen am Rande, und nicht im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Analysen von Marx.

5. Wissenschaft und daraus folgende Praxis statt Philosophie
„Das Hegelsche System war die letzte, vollendete Form der Philosophie, insofern diese als besondere, allen anderen Wissenschaften überlegene besondere Wissenschaft vorgestellt wird. Mit ihm scheiterte die ganze Philosophie.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 23, Anmerkung.

„Wie kam es, dass die Menschen sich diese Illusionen ‚in den Kopf setzten’? Diese Frage bahnte ... für die deutschen Theoretiker (wie Marx u.a.) den Weg zur materialistischen, nicht voraussetzungslosen, sondern die wirklichen materiellen Voraussetzungen als solche empirisch beobachtenden und darum erst wirklich kritischen Anschauung der Welt. Dieser Gang war schon angedeutet in den ‚Deutsch-Französischen Jahrbüchern’ in der ‚Einleitung der Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie’ und ‚Zur Judenfrage’.
Da dies damals noch in philosophischer Phraseologie geschah, so gaben die hier traditionell unterlaufenden philosophischen Ausdrücke wie ‚menschliches Wesen’, ‚Gattung’ usw. den deutschen Theoretikern die erwünschte Veranlassung, die wirkliche Entwicklung zu missverstehen und zu glauben, es handle sich hier wieder nur um eine neue Wendung ihrer abgetragenen theoretischen Röcke ...
Man muss ‚die Philosophie beiseite liegen lassen’ ... man muss aus ihr herausspringen und sich als ein gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit geben, wozu auch ... ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes Material vorliegt. ...
Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Sex.“ K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, 217f.

„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muss der Mensch die Wahrheit, i.e. Wirklichkeit und Macht, ... beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit (= Wahrheit) oder Nichtwirklichkeit (=Unwahrheit) des Denkens - das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein scholastische Frage.“ K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, 5.

„Die Empirie der Beobachtung allein kann nie die Notwendigkeit genügend beweisen. ...  Dies ist so sehr richtig, dass aus dem steten Aufgehen der Sonne des Morgens nicht folgt, sie werde morgen wieder aufgehen, und in der Tat wissen wir jetzt, dass ein Moment kommen wird, wo die Sonne eines Morgens nicht aufgeht.
Aber der Beweis der Notwendigkeit liegt in der menschlichen Tätigkeit, im Experiment, in der Arbeit ...“ F. Engels, Naturdialektik, MEW 20, 497.

„Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewusstsein hören auf, wirkliches Wissen muss an ihre Stelle treten.
Die selbständige Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium.“ K. Marx, F. Engels, Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 27.

Wenn wir die Welt verstehen wollen, „so brauchen wir dazu keine Philosophie, sondern wirkliche Kenntnisse von der Welt und was in ihr vorgeht;“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, S. 34.

„Allgemeine Arbeit ist alle wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung. Sie ist bedingt teils durch Kooperation mit Lebenden, teils durch Benutzung der Arbeiten Früherer.“ K. Marx, Kapital III, MEW 25, 125f.

„Sobald an jede einzelne Wissenschaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klar zu werden, ist jede besondere Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig. Was von der ganzen bisherigen Philosophie dann noch selbständig bestehen bleibt, ist die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen - die formelle Logik und die Dialektik. Alles andere geht auf in die positive Wissenschaft von Natur und Geschichte.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 24.

„Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern“. K. Marx, Thesen über Feuerbach, MEW 3, S.7)

Dieser vielzitierte Gedanke von Marx ist früher von mir ganz einseitig verstanden worden:
Ich dachte, ein Verzicht auf Philosophie wäre die einzige (beste) Voraussetzung, um die Welt verändern zu können.
Um die Welt verändern zu können, ist aber nicht nur ein Verzicht auf Philosophie nötig, sondern sind auch wirkliche Kenntnisse nötig, ist Wissenschaft nötig.
Das beginnt bei der produktiven Veränderung der Welt:
Zur Herstellung jedes beliebigen Gegenstandes brauchen wir Sachkenntnisse über die beteiligte Technologie, die Werkstoffe und wir brauchen die passenden Fähigkeiten, um die Technologie anzuwenden usw.
Nicht anders ist es bei der Veränderung unserer Gesellschaft:
Hierzu benötigen wir nicht weniger Sachkenntnisse über die Zusammensetzung der Gesellschaft, über die Interessen der einzelnen gesellschaftlichen Klassen, über die politischen Kräfteverhältnisse, über die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und Tendenzen usw.

„Wie die Ökonomen die wissenschaftlichen Vertreter der Bourgeoisklasse sind, so sind die Sozialisten und Kommunisten die Theoretiker der Klasse des Proletariats. ...
In dem Maße, wie die Geschichte vorschreitet und mit ihr der Kampf des Proletariats sich deutlicher abzeichnet, haben sie nicht mehr nötig, die Wissenschaft in ihrem Kopfe zu suchen;
sie haben sich nur Rechenschaft abzulegen von dem, was sich vor ihren Augen abspielt, und sich zum Organ desselben zu machen. ... Von diesem Augenblick an wird die Wissenschaft bewusstes Erzeugnis der historischen Bewegung, und sie hat aufgehört, doktrinär zu sein, sie ist revolutionär geworden.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 143.

„Und Kommunismus hieß nun nicht mehr: Ausheckung vermittelst der Phantasie, eines möglichst vollkommenen Gesellschaftsideals, sondern: Einsicht in die Natur, die Bedingungen und die daraus sich ergebenden allgemeinen Ziele des vom Proletariat geführten Kampfes.“ F. Engels, Bund der Kommunisten, MEW 8, 582.

„die materialistische Basis (des Sozialismus) erfordert ernstes, objektives Studium ..., wenn man auf ihr operieren will.“ K. Marx an Sorge, 1877, MEW 34, 303.

„Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene Philosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur Voraussetzung.“ F. Engels, Karl Heinzen, 1847, MEW 4, 321f.

Anmerkung:

„Das Wort ... ‚wissenschaftlicher Sozialismus’ ist gebraucht worden nur im Gegensatz zum utopischen Sozialismus, der neue Hirngespinste dem Volk aufheften will, statt seine Wissenschaft auf die Erkenntnis der vom Volk selbst gemachten sozialen Bewegung zu beschränken;“ K. Marx, Konspekt über Bakunin, 1874, MEW 18, 635f.

Der Begriff „dialektischer Materialismus“ wurde von Marx oder Engels nie verwendet. Er ist - vgl. das ‚Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus’, Band 2, 696 - eine Erfindung des deutschen Sozialdemokraten Josef Dietzgen von 1887.
Über diesen Dietzgen schrieb K. Marx an F. Engels:
„Aus dem einliegenden Brief von Dietzgen wirst du sehen, dass der Unglückliche rückwärts ‚vorangegangen’ und richtig bei der ‚Phänomenologie’ (von Hegel, wb) ‚angekommen’ ist. Ich halte den Fall für unheilbar.“ K. Marx, 5.1.1882, MEW 35, 31.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenangaben  modernisiert. Diese und alle kommentierenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. (Kommentierende Überschriften und Zwischenüberschriften sind aus grafischen Gründen nicht kursiv.)

Editoriale Anmerkung:

Dieser Artikel wurde uns vom Autor am 6.2. 2002 zum Zwecke der Veröffentlichung zugeschickt.
Mehr über den Autor erfahrt Ihr auf seiner Website: http://www.marx-forum.de