Vorwort (1967)




In einer alten selbst biographischen Skizze (1933)1 nannte ich meine Frühentwicklung meinen Weg zu Marx. Die in diesem Band2 vereinigten Schriften. bezeichnen. darin die eigentlichen Lehrjahre des Marxismus. Wenn ich. die wichtigsten Dokumente dieser Zeit (1918-1930) hier gesammelt herausgebe, so will. ich damit gerade den Charakter von Versuchen hervorheben, keineswegs ihnen eine aktuelle Bedeutung im gegenwärtigen Ringen um den echten Marxismus zusprechen. Denn bei der heute herrschenden großen Unsicherheit darüber, was man als seinen wesentlichen, dauernden Gehalt, als seine-bleibende Methode auffassen soll, ist eine solche klare Abgrenzung ein Gebot der intellektuellen Rechtschaffenheit. Andererseits können auch heute. die Versuche, das Wesen des Marxismus richtig. zu erfassen, bei einem hinreichend kritischen Verhalten sowohl zu ihnen selbst wie zur gegenwärtigen Lage eine gewisse dokumentarische Bedeutung haben.. Die hier vereinigten. Schriften beleuchten: deshalb nicht nur die geistigen Stufen meiner persönlichen Entwicklung, sondern zeigen zugleich Etappen des


1 In: Georg Lukács zum siebzigsten Geburtstag, Aufbau, Berlin 1955, S. 115 bis 131; abgedruckt in G. Lukács, Schriften zu Ideologie und Politik, hg. von P. Ludz, Luchterhand, Neuwied 1967, S. 323-329.

2 Frühschriften II, Band 2 der Werkausgabe, Neuwied 1968. Dieser Band, für den das Vorwort verfaßt worden ist, enthält außer „Geschichte und Klassenbewußtsein“ noch folgende Schriften: Taktik und Ethik, Rede auf dem Kongreß der Jungarbeiter, Rechtsordnung und Gewalt, Die Rolle der Moral in der kommunistischen Produktion, zur Frage des Parlamentarismus, Die moralische Sendung der kommunist isosen Partei, Opportunismus und Putschismus, Die Krise des Syndikalismus in Italien, zur Frage der Bildungsarbeit, Spontaneität der Massen - Aktivität der Partei, Organisatorische Fragen der revolutionären Initiative, Noch einmal Illusionspolitik, Lenin -Studie über den Zusammenhang seiner Gedanken, Der Triumph Bernsteins, N. Bucharin: Theorie des historischen Materialismus, Die neue Ausgabe von Lassalles Briefen, K. A. Wittfogel: Die Wissenschaft der bürgerlichen Gesellschaft, Moses Hess und die Probleme der idealistischen Dialektik, 0. Spann.' Kategorienlehre, C. Schmitt: Politische Romantik, Blum-Thesen.



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allgemeinen Weges auf, die bei hinreichend kritischer Distanz auch für das Verständnis der heutigen Lage, für den Fortgang von ihrer Basis aus nicht ohne jede Bedeutung sein müssen.


Ich kann natürlich meine Stellungnahme zum Marxismus um 1918 unmöglich richtig charakterisieren, ohne kurz auf ihre Vorgeschichte hinzuweisen. Wie ich in der eben zitierten selbstbiographischen Skizze hervorhebe, habe ich bereits als Gymnasiast einiges von Marx gelesen. Später, um 1908 habe ich auch »Das Kapital« durchgenommen, um für meine Monographie über das moderne Drama3 eine soziologische Grundlegung zu finden. Denn mein Interesse galt damals dem »Soziologen« Marx gesehen durch eine weitgehend von Simmel und Max Weber bestimmte methodologische Brille. In der Zeit des ersten Weltkriegs' nahm ich die Marx-Studien wieder auf, diesmal jedoch bereits von allgemein philosophischen Interessen gleitet: überwiegen nicht mehr von zeitgenössischen Geisteswissenschaftlern, sondern von Hegel beeinflußt. Freilich war diese Wirkung Hegels ebenfalls sehr zwiespältig. Einerseits spielte Kierkegaard in meiner Jugendentwicklung eine beträchtliche Rolle; in den letzten Vorkriegsjahren in Heidelberg wollte ich sogar seine Hegel-Kritik in einem Aufsatz monographisch behandeln. Andererseits brachte mich die Widersprüchlichkeit meiner gesellschaftlich-politischen Anschauungen in eine geistige Beziehung zum Syndikalismus vor allem zur Philosophie G. Sorels. Ich strebte über den bürgerlichen Radikalismus hinaus, war jedoch von der sozialdemokratischen Theorie (vor allem Kautskys) abgestoßen. Ervin Szabó, der geistige Führer der ungarischen linken Opposition in der Sozialdemokratie, machte mich auf Sorel aufmerksam. Dazu kam während des Krieges die Kenntnis der Werke Rosa Luxemburgs. Aus alledem entstand ein innerlich widersprüchliches Amalgam in der Theorie, das für mein Denken in der


3 Entwicklungsgeschichte des modernen Dramas 2 Bände, Budapest 1955 (ungarisch).



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Kriegszeit und in den ersten Nachkriegsjahren ausschlaggebend wurde.


Ich glaube, wenn man die krassen Widersprüche dieser Periode »geisteswissenschaftlich« jeweils auf einen Nenner bringt und eine organische immanent-geistige Entwicklung hineinkonstruiert, entfernt man sich von der tatsächlichen Wahrheit. Wenn es schon Faust gestattet wird, zwei Seelen in seiner Brust zu bergen, warum kann bei einem sonst normalen Menschen, der aber inmitten einer Weltkrise von einer Klasse in die andere hinüberwechselt, nicht das gleichzeitige, widerspruchsvolle Funktionieren entgegengesetzter geistiger Tendenzen feststellbar sein? Ich wenigstens, soweit ich in der Lage bin, mich dieser Jahre zu entsinnen, finde in meiner damaligen Gedankenwelt simultane Tendenzen der Aneignung des Marxismus und ,politischen Aktivierung auf der einen Seite und einer ständigen Intensivierung rein idealistisch ethischer Fragestellungen auf der anderen.


Die Lektüre meiner damaligen Artikel kann diese Simultaneität der schroffen Gegensätze nur bestätigen. Wenn ich etwa an die nicht allzu zahlreichen und nicht allzu bedeutenden Aufsätze literarischen Charakters aus dieser Zeit denke, so finde ich, daß sie an aggressivem und paradoxem Idealismus meine früheren Arbeiten oft übertreffen. Gleichzeitig geht aber auch der Prozeß der unaufhaltsamen Aneignung des Marxismus vor sich. Wenn ich nun in diesem disharmonischen Dualismus die Grundlinie für die Charakteristik des Geistes dieser meiner Jahre erblicke, so soll daraus kein entgegengesetztes Extrem gefolgert werden, keine Schwarz-Weiß-Malerei, als ob ein revolutionär Gutes im Kampf mit den schlechten bürgerlichen Überresten die Dynamik dieser Gegensätzlichkeit erschöpfte. Der Übergang aus einer Klasse in die ihr spezifisch feindliche ist ein viel komplizierterer Prozeß. Dabei kann ich rückblickend bei mir selbst feststellen, daß die Einstellung auf Hegel, der ethische Idealismus mit allen seinen romantisch-antikapitalistischen Elementen für mein aus dieser Krise geborenes Weltbild auch manches


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Positive mit sich führten. Natürlich erst, nachdem sie als herrschende oder auch nur mitherrschende Tendenzen überwunden. wurden, nachdem sie vielfach, grundlegend. modifiziert zu Elementen eines neuen, nunmehr einheitlichen Weltbilds geworden sind. Ja, es ist vielleicht hier die Gelegenheit festzustellen, daß sogar meine intime Kenntnis der kapitalistischen Welt in die neue Synthese als partielles Positivum eingeht. Dem Fehler, den ich bei vielen Arbeitern, kleinbürgerlichen Intellektuellen oft beobachten konnte, daß ihnen. die kapitalistische Welt, letzten Endes, doch imponierte, bin ich nie verfallen. Mein aus der Knabenzeit stammender, verachtungsvoller Haß gegen das Leben im Kapitalismus hat mich davor bewahrt.


Verworrenheit ist aber nicht immer Chaos.. Sie hat Tendenzen, die die inneren Widersprüche zwar; zuweilen: temporär verstärken können, aber letzten Endes doch in die Richtung ihrer Austragung treiben.; So drängte die Ethik in die Richtung auf Praxis, auf Tat und damit zur Politik. So diese wieder in die Richtung auf Ökonomie, was zu einer. theoretischen Vertiefung, also letzten Endes zur Philosophie des. Marxismus führte. Es handelt sich natürlich um Tendenzen, die sich nur langsam und ungleichmäßig zu entfalten pflegen. Ein solches Gerichtetsein begann sich schon während des Krieges, nach Ausbruch der russischen Revolution zu zeigen. »Die,Theorie des Romans« ist, wie ich das im Vorwort der Neuauflage geschildert habe4, noch im Zustand einer generellen Verzweiflung entstanden; kein Wunder, daß die Gegenwart in ihr Fichtisch als Zustand der vollendeten: Sündhaftigkeit erschien, daß Aussicht und Ausweg einen rein luftig-utopischen Charakter erhielten. Erst mit der russischen Revolution hat sich auch für mich eine Zukunftsperspektive in der Wirklichkeit selbst eröffnet; schon mit dem Sturz des Zarentums und erst recht mit dem des Kapitalismus. Unsere Kenntnis .der Tatsachen und Prinzipien war damals sehr gering und sehr unzuverlässig, trotzdern sahen wir, daß -


4 2. Auflage, Luchterhand, Neuwied S. 55, ebenso 3. Au1.1965.



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endlich! endlich! - ein Weg für die Menschheit aus Krieg und Kapitalismus. eröffnet wurde. Freilich, auch wenn man von dieser Begeisterung spricht, soll man das Vergangene nicht verschönern. Auch ich ich spreche ja hier rein in eigener Sache - erlebte einen kurzen Übergang: als das letzte Schwanken vor dem endgültigen, endgültig richtigen Entschluß eine mißlungene geistige Kosmetik, von abstrakt-abgeschmackten Argumenten geschmückt, vorübergehend entstehen ließ. Aber der Entschluß war doch nicht aufzuhalten. Der kleine Aufsatz »Taktik und Ethik« zeigt seine inneren, menschlichen Motive.


Über die wenigen Aufsätze aus der Zeit der ungarischen Räterepublik und ihrer Vorbereitung braucht nicht allzuviel gesagt zu werden. Wir waren - auch ich, ja vielleicht ich vor allem - auf die Bewältigung der großen Aufgaben geistig sehr wenig vorbereitet; Begeisterung versuchte, schlecht und recht, Wissen und Erfahrung zu ersetzen. Ich erwähne nur die einzige, hier sehr wichtige Tatsache: wir kannten kaum Lenins Theorie der Revolution, seine wesentliche Weiterführung des Marxismus auf diesen Gebieten. Übersetzt und uns zugänglich waren damals bloß wenige Artikel und Broschüren, und die Teilnehmer an der russischen Revolution waren teils wenig theoretisch veranlagt (wie Szamuely), teils standen sie gedanklich wesentlich unter dem Einfluß der russischen linken Opposition (wie Béla Kun). Eine gründlichere Bekanntschaft mit dem Theoretiker Lenin konnte ich erst in der Wiener Emigration machen. So ist in meinem damaligen Denken ebenfalls ein gegensätzlicher Dualismus vorhanden. Teils vermochte ich nicht gegen verhängnisvoll opportunistische Grundfehler der damaligen Politik prinzipiell richtig Stellung zu nehmen, so gegen die rein sozialdemokratische Lösung der Agrarfrage. Teils trieben mich eigene Gedankenströmungen auf dem Gebiet der Kulturpolitik in abstrakt utopische Richtung. Heute, nach fast einem halben Jahrhundert, wundere ich mich darüber, daß uns auf diesem Gebiet doch relativ nicht wenig Fort-


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setzbares ins Leben einzuführen gelang. (Um dabei auf dem Gebiet der Theorie zu bleiben, möchte ich bemerken, daß die beiden Aufsätze »Was ist orthodoxer Marxismus?« und »Funktionswechsel des historischen Materialismus« bereits in dieser Periode ihre erste Fassung erhielten; Für »Geschichte und Klassenbewußtsein« wurden sie zwar umgearbeitet, aber keineswegs ihrer Grundrichtung nach.)


Die Wiener Emigration leitet vor allem eine Periode des Lernens ein. Das bezieht sich in erster Reihe auf die Bekanntschaft mit den Werken Lenins. Freilich ein Lernen, das sich keinen Augenblick von der revolutionären Tätigkeit loslöste. Es galt vor allem, die Kontinuität der revolutionären Arbeiterbewegung in Ungarn wieder zu beleben: Parolen und Maßnahmen zu finden, die ihre Physiognomie auch unter dem weißen Terror aufzubewahren und zu fördern geeignet schienen, die Verleumdungen der Diktatur - seien sie rein. reaktionär oder sozialdemokratisch - abzuwehren und zugleich eine marxistische Selbstkritik der proletarischen Diktatur einzuleiten; Daneben gerieten wir in Wien in den Strom der internationalen revolutionären Bewegung. Die ungarische Emigration war damals vielleicht die zahlreichste und zerspaltenste, aber keineswegs die einzige. Aus den Balkanländern, aus Polen lebten viele, vorübergehend oder dauernd, als Emigranten in Wien; zudem war Wien auch ein internationaler Durchgangsplatz, wo wir mit deutschen, französischen, italienischen etc. Kommunisten unterbrochen in Berührung kamen. Es ist also kein Wunder, daß unter solchen Umständen die Zeitschrift »Kommunismus«.entstand,.die zeitweilig zu einem Hauptorgan der ultralinken Strömungen in der II. Internationale wurde. Neben österreichischen Kommunisten, ungarischen. und polnischen Emigranten, die den internen Stab und die ständige Mitarbeiterschaft bildeten, sympathisierten mit ihren Bestrebungen italienische Ultralinke wie Bordiga, Terracini, holländische wie Pannekoek und Roland Holst, etc.

Der Dualismus meiner Entwicklungstendenzen, von dem be-

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reits die Rede war, erreichte unter diesen Umständen nicht nur seinen Höhepunkt, sondern erhielt eine merkwürdige gedoppelte theoretisch-praktische neue Kristallisationsform. Als Mitglied des inneren Kollektivs des »Kommunismus« nahm ich lebhaft teil an der Ausarbeitung einer »linken« politisch-theoretischen Linie. Sie beruhte auf dem damals noch sehr lebendigen Glauben, daß die große revolutionäre Welle, die die ganze Welt, wenigstens ganz Europa in kurzer Zeit zum Sozialismus führen werde, durch die Niederlagen in Finnland, Ungarn und. München keineswegs abgeebbt sei. Ereignisse wie der Kapp-Putsch, die Fabrikbesetzungen in Italien; der polnisch-sowjetische Krieg, ja die März-Aktion bestärkten in uns diese Überzeugung von der rasch nahenden Weltrevolution, von der baldigen totalen Umgestaltung der ganzen Kulturwelt. Freilich, wenn am Anfang der zwanziger Jahre von Sektierertum die Rede ist, darf man nicht an seine in der Stalinschen Praxis entfaltete Wesensart denken. Diese will vor allem die gegebenen Machtverhältnisse vor jeder Reform schützen, ist also in seinen Zielen konservativen, in seinen Methoden bürokratischen Charakters. Das Sektierertum der zwanziger Jahre dagegen hatte messianisch-utopische Zielsetzungen und seinen Methoden lagen schroff antibürokratische Tendenzen zugrunde. Die beiden gleichnamigen Richtungen haben also nur die Bezeichnung gemein, innerlich stellen sie schroffe Gegensätze dar. (Daß schon damals in der III. Internationale bürokratische Gebräuche von Sinowjew und seinen Schülern eingeführt wurden, ist freilich ebenso wahr wie die Tatsache, daß die letzten Krankheitsjahre Lenins von der Sorge erfüllt waren, wie die zunehmende, spontan entstehende Bürokratisierung der Räterepublik auf der Grundlage der proletarischen Demokratie bekämpft werden könne. Aber auch darin ist der Gegensatz zwischen heutigen und damaligen Sektierern sichtbar. Mein Aufsatz über Organisationsfragen in der ungarischen Partei ist gegen Theorie und Praxis des Sinowjew-Schülers Béla Kun gerichtet.)


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Unsere Zeitschrift wollte dem messianischen Sektierertum damit dienen, daß sie in allen Fragen die allerradikalsten Methoden ausarbeitete, daß sie auf jede in Gebiet einen totalen Bruch mit allen aus .der bürgerlichen Welt stammenden Institutionen, Lebensformen etc. verkündete. Damit sollte das unverfälschte Klassenbewußtsein in der Avantgarde, in den kommunistischen Parteien, in den kommunistischen Jugendorganisationen höher entwickelt werden. Mein polemischer Aufsatz gegen die Teilnahme an den bürgerlichen Parlamenten ist ein typisches Beispiel dieser Tendenz.. Sein Schicksal die Kritik Lenins - machte für mich den ersten Schritt zur Überwindung des Sektierertums möglich. Lenin wies auf den entscheidenden Unterschied, ja Gegensatz hin, daß aus dem welthistorischen Überholtsein einer Institution z.B. des Parlaments durch die Sowjets - keineswegs die taktische Ablehnung einer Beteiligung an ihnen folgt; im Gegenteil. Diese Kritik, die ich sofort als zutreffend anerkannte, zwang mich, meine historischen Perspektiven differenzierter und vermittelter mit der Tagestaktik zu verknüpfen, und sie bedeutet insofern den Anfang einer Wendung in meinen Anschauungen: jedoch bloß innerhalb eines noch immer wesentlich sektiererisch bleibenden Weltbilds. Das zeigt sich ein Jahr später, als ich zwar einzelne taktische Fehler der März-Aktion kritisch ansah, sie als Ganzes jedoch weiter unkritisch-sektiererisch bejahte.

Gerade hier kommt der sachlich wie innerlich gegensätzliche Dualismus in meinen damaligen politischen wie philosophischen Anschauungen schroff zum Ausdruck. Während ich im internationalen Leben die .ganze intellektuelle Leidenschaftlichkeit meines revolutionären Messianismus frei ausleben konnte, stellte mich die sich allmählich organisierende. kommunistische Bewegung in Ungarn vor Entscheidungen, deren allgemeine und persönliche, deren perspektivische und unmittelbare Folgen. ich laufend zur Kenntnis nehmen und zur Grundlage folgender Entscheidungen machen mußte. In solcher Lage war ich natürlich schon in der Räterepublik. Und


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die Notwendigkeit, das Denken nicht allein auf die messianischen Perspektiven zu richten, erzwang auch damals manchen realistischen Beschluß sowohl im Volkskommissariat für Unterricht wie in der Division, deren politische Leitung mir oblag. Die Konfrontation mit den Tatsachen, der Zwang, das zu erforschen, was Lenin »Das nächste Kettenglied« nannte, wurde aber jetzt unvergleichlich unmittelbarer und intensiver als je früher in meinem bisherigen Leben. Gerade der scheinbar rein empirische Charakter des Inhalts solcher Entscheidungen hatte weitgehende Folgen für meine theoretische Einstellung. Diese mußte auf objektive Situationen und Tendenzen abgestellt werden; wollte man also zu einem prinzipiell richtig begründeten Entschluß kommen, so durfte man im Nachdenken nie bei der unmittelbaren Tatsächlichkeit stehen bleiben, mußte vielmehr ständig bestrebt sein, jene; oft verborgenen, Vermittlungen aufzudecken, die eine solche Situation herbeigeführt hatten, und vor allem jene vorauszusehen versuchen, die daraus, die spätere Praxis bestimmend, wahrscheinlich entspringen werden. Hier diktierte mir also das Leben selbst ein geistiges Verhalten, das sehr oft ,gegensätzlich zu meinem idealistisch-utopischen, revolutionären Messianismus stand.


Das Dilemma verstärkte sich noch dadurch, daß in der praktischen Führung der ungarischen Partei auf der Gegenseite ein Sektierertum modern-bürokratischer Art stand, die Gruppe des Sinowjew-Schülers Béla Kun. Rein theoretisch hätte ich seine Anschauungen als die eines Pseudolinken ablehnen können, konkret konnten seine Vorschläge nur durch einen Appell an die oft höchst prosaische und nur durch sehr weite Vermittlungen mit der großen Perspektive der Weltrevolution verknüpfbaren Alltagswirklichkeit bekämpft werden. Wie so oft in meinem Leben hatte ich auch hier persönliches Glück: an der Spitze der Opposition gegen Kun stand Eugen Landler, ein Mann nicht nur von hoher, vor allem praktischer Intelligenz, auch mit viel Sinn für theoretische Probleme, wenn sie nur, noch so weit vermittelt, mit


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der revolutionären Praxis real verknüpft waren, ein Mann, dessen tiefste innere Einstellung von seiner innigen Verbundenheit mit dem Leben der Massen bestimmt war. Sein Protest gegen die bürokratisch-abenteuerlichen Projekte Kuns überzeugten mich gleich im ersten Moment, und ich stand nach dem Ausbruch des Fraktionskampfs immer auf seiner Seite. Ohne hier selbst auf die wichtigsten und oft auch theoretisch interessanten Einzelheiten dieser inneren Parteikämpfe eingehen zu können, will ich nur darauf aufmerksam machen, daß der methodologische Zwiespalt in meinem Denken sich zu einem theoretisch-praktischen steigerte: ich blieb in den großen internationalen Fragen der Revolution weiter ein Anhänger von ultralinken Tendenzen, während ich als Mitglied der Führung in der ungarischen Partei zum erbitterten Gegner des Kunschen Sektierertums wurde. Das zeigte sich besonders kraß im Frühjahr 1921. Auf ungarischer Linie vertrat ich in Gefolgschaft von Landler eine energisch antisektiererische Politik und gleichzeitig war ich international ein theoretischer Anhänger der März-Aktion. Damit war der Gipfelpunkt dieser Simultaneität von entgegengesetzten Tendenzen erreicht. Mit der Vertiefung der Differenzen in der ungarischen Partei, mit den Anfängen der Selbstregung der radikalen Arbeiterschaft in Ungarn wuchs naturgemäß auch in meinem Denken die beeinflussende Kraft der hieraus entspringenden theoretischen Tendenzen, allerdings ohne auf dieser Stufe noch eine alles bestimmende Überlegenheit zu erlangen, obwohl die Leninsche Kritik meine Anschauungen über die März-Aktion stark, erschütterte.


In einer ,solchen innerlich krisenhaften Übergangszeit ist »Geschichte und Klassenbewußtsein« entstanden. Die Niederschrift erfolgte im Jahre 1922. Sie bestand teilweise aus der Überarbeitung älterer Texte; neben den bereits erwähnten aus dem Jahre 1919, gehört dazu ,auch der über »Klassenbewußtsein'« (entstanden 1920). Die beiden Aufsätze über Rosa Luxemburg sowie »Legalität und Illegalität« wurden


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ohne wesentliche Änderungen in die Sammlung aufgenommen. Ganz neu sind also bloß die beiden, freilich ausschlaggebend wichtigen Studien: »Die Verdinglichung und das Bewußtsein des Proletariats« und »Methodisches zur Organisationsfrage«. (Zu letzterer diente als Vorstudie der Aufsatz unmittelbar nach der März-Aktion in der Zeitschrift »Die Internationale« 1921 »Organisatorische Fragen der revolutionären Initiative«.) So ist. »Geschichte und Klassenbewußtsein« literarisch gesehen der zusammenfassende Abschluß meiner Entwicklungsperiode seit den letzten Kriegsjahren.. Freilich ein Abschluß, der bereits, wenigstens teilweise, Tendenzen eines Übergangsstadiums zu, größerer Klarheit in sich enthielt, wenn diese Tendenzen auch nicht zur wirklichen Entfaltung kommen konnten.

Dieser unentschiedene Kampf entgegengesetzter Geistesrichtungen, bei denen man keineswegs immer von siegreichen bzw. unterliegenden sprechen kann, macht eine einheitliche Charakteristik und Bewertung dieses Buches auch heute nicht einfach. Es muß aber hier doch versucht ,werden, wenigstens die dominierenden Motive kurz hervorzuheben. Dabei fällt vor allem auf, daß »Geschichte und Klassenbewußtsein« -, keineswegs in Übereinstimmung mit den subjektiven Intentionen seines Verfassers - objektiv eine Tendenz innerhalb der Geschichte des Marxismus vertritt, die zwar in der philosophischen Begründung, wie in den, politischen Folgerungen sehr starke Unterschiede zeigt, die sich aber doch, gewollt oder nichtgewollt, gegen die Grundlagen der Ontologie des Marxismus richtet. Ich meine die Tendenz, den Marxismus ausschließlich als Gesellschaftslehre, als Sozialphilosophie aufzufassen und die darin enthaltene Stellungnahme zur Natur zu ignorieren oder zu verwerfen. ,Schon vor dem ersten Weltkrieg vertraten sonst sehr verschieden orientierte Marxisten wie Max Adler und Lunatscharski diese Richtung; in unseren Tagen begegnet man ihr wahrscheinlich nicht ganz ohne Einwirkungen von »Geschichte und Klassenbewußtsein« - vor allem im französischen


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Existentialismus und seiner geistigen Umgebung. Mein Buch nimmt in dieser Frage eine sehr entschiedene Stellung ein; Natur sei eine gesellschaftliche Kategorie, wird an verschiedenen Stellen behauptet, und die Gesamtkonzeption geht dahin, daß allein die Erkenntnis der Gesellschaft und der in ihr lebenden Menschen philosophisch relevant ist. Schon die Namen der Vertreter dieser Tendenz zeigen an, daß es sich um, keine eigentliche Richtung handelt; ich selbst habe damals Lunatscharski nur dem Namen nach gekannt und Max Adler stets als Kantianer und Sozialdemokraten abgelehnt. Trotzdem, zeigt eine nähere Betrachtung bestimmte gemeinsame Züge auf. Es erweist sich einerseits, daß gerade die materialistische Auffassung der Natur die wirklich radikale Trennung zwischen bürgerlicher und sozialistischer Weltanschauung herbeiführt, daß das Ausweichen vor diesem Komplex die philosophischen Auseinandersetzungen abschwächt, z.B. daran hindert, den marxistischen Praxisbegriff scharf herauszuarbeiten. Andererseits wirkt diese scheinbare, methodologische Erhöhung der gesellschaftlichen Kategorien ungünstig auf ihre echten Erkenntnisfunktionen zurück; auch ihre spezifisch marxistische Eigenart wird abgeschwächt, ihr" reales Hinausgehen über das bürgerliche Denken oft unbewußt zurückgenommen.


Ich beschränke mich hier natürlich bei einer solchen Kritik ausschließlich auf »Geschichte und Klassenbewußtsein«, womit ich keineswegs beteuern will, daß diese Divergenz vom Marxismus bei anderen Autoren einer ähnlichen Einstellung weniger ausschlaggebend wäre. In meinem Buch wirkt sie sofort, Entscheidendes verwirrend, auf die Auffassung der Ökonomie selbst zurück, die hier naturgemäß methodologisch den Mittelpunkt bilden müßte. Es wird zwar versucht, alle ideologischen Phänomene aus ihrer ökonomischen Basis verständlich zu machen, aber die Ökonomie wird doch eingeengt, indem ihre marxistische Fundamentalkategorie, die Arbeit als Vermittler des Stoffwechsels der Gesellschaft mit der Natur, aus ihr herausfällt. Das ist aber die natürliche


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Konsequenz einer solchen methodologischen Grundeinstellung. Sie hat zur Folge, daß die wichtigsten realen Pfeiler des marxistischen Weltbilds verschwinden, und der Versuch, die letzten revolutionären Folgerungen des Marxismus mit äußerster Radikalität zu ziehen, muß ohne echt ökonomische Begründung bleiben. Daß die ontologische Objektivität der Natur, die die seinsmäßige Grundlage dieses Stoffwechsels bildet, verschwinden muß, versteht sich von selbst. Es verschwindet aber damit zugleich auch jene Wechselwirkung, die zwischen der echt materialistisch betrachteten Arbeit und der Entwicklung der arbeitenden Menschen obwaltet. Der große Gedanke von Marx, daß sogar die »Produktion um der Produktion halber nichts heißt, als Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte, also Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur als Selbstzweck«, liegt außerhalb des Bereichs, den »Geschichte und Klassenbewußtsein« zu betrachten imstande ist. Die kapitalistische Ausbeutung verliert diese ihre objektiv revolutionäre Seite, und der Tatbestand, daß »diese Entwicklung der Fähigkeiten der Gattung Mensch, obgleich sie sich zunächst auf Kosten der Mehrzahl der Menschenindividuen und gewisser Menschenklassen (vollzieht), schließlich diesen Antagonismus durchbricht und zusammenfällt mit der Entwicklung des einzelnen Individuums, daß also die höhere Entwicklung der Individualität nur durch einen historischen Prozeß erkauft wird, worin die Individuen geopfert werden«, wird nicht verstanden.5 Damit erhält sowohl die Darstellung der Widersprüche des Kapitalismus wie die der Revolutionierung des Proletariats ungewollt Akzente eines überwiegenden Subjektivismus.

Das färbt auch auf den gerade für dieses Buch, zentralen Begriff der Praxis verengend und entstellend ab. Auch bei diesem Problem wollte ich von Marx ausgehen und versuchte, seine Begriffe von, jeder späteren bürgerlichen Entstellung zu reinigen, sie für die Bedürfnisse des großen revo-


5 Theorien über den Mehrwert, II, MEW 26, 2, S. 111



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lutionären Umschwungs in der Gegenwart geeignet zu machen. Vor allem stand für mich damals fest, daß der bloß kontemplative Charakter des bürgerlichen Denkens radikal überwunden werden muß. So erhält die Konzeption der revolutionären Praxis in diesem Buch etwas geradezu Überschwengliches, was dem messianischen Utopismus des damaligen linken Kommunismus, nicht aber der echten Marxschen Lehre entsprach. In zeitgeschichtlich verständlicher Weise, in Polemik gegen bürgerliche und opportunistische Anschauungen in der Arbeiterbewegung, die eine von Praxis isolierte, angeblich objektive, in Wirklichkeit von jeder Praxis abgerissene Erkenntnis verherrlichte, richtete sich meine - relativ weitgehend berechtigte - Polemik gegen die Überspannung und Überbewertung der Kontemplation. Die Feuerbach-Kritik von Marx bestärkte meine Einstellung noch. Ich bemerkte nur nicht, daß ohne eine Basis in der wirklichen Praxis, in der Arbeit als ihrer Urform und ihres Modells, die Überspannung des Praxisbegriffes in den einer idealistischen Kontemplation umschlagen muß. So wollte ich das richtige und echte Klassenbewußtsein des Proletariats von jeder empiristischen »Meinungsforschung« (der Ausdruck war damals freilich noch nicht in Verkehr) abgrenzen, ihm eine unbestreitbare praktische Objektivität verleihen. Ich konnte aber doch nur zur Formulierung eines »zugerechneten« Klassenbewußtseins gelangen. Gemeint habe ich das, was Lenin in »Was tun?« so bezeichnet, daß im Gegensatz zum spontan entstehenden tradeunionistischen Bewußtsein, das sozialistische Klassenbewußtsein an die Arbeiter »von außen«, »d.h. außerhalb des ökonomischen Kampfes, außerhalb der Sphäre der Beziehungen zwischen Arbeitern und Unternehmern« herangetragen wird.6 Was also bei mir der subjektiven Intention nach, bei Lenin als Ergebnis der echt marxistischen Analyse einer praktischen Bewegung innerhalb der Totalität der Gesellschaft war, wurde in meiner Darstellung ein rein gei-


6 Lenin, Werke, Wien-Berlin, IV, II. S.216 f.


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stiges Resultat und damit etwas wesentlich Kontemplatives. Das Umschlagen des ,»zugerechneten« Bewußtseins in revolutionäre Praxis erscheint hier - objektiv betrachtet - als das reine Wunder.


Dieses Umschlagen einer - an sich angesehen - richtig gemeinten Intention in das Gegenteil des Beabsichtigten folgt aus der bereits erwähnten abstrakt-idealistischen Konzeption der Praxis selbst. Das zeigt sich deutlich in der - wieder nicht ganz unberechtigten - Polemik gegen Engels, der in Experiment und Industrie die typischen Fälle erblickt, in denen sich die Praxis als Kriterium der Theorie erweist. Es ist mir seitdem als theoretische Grundlage der Unvolltändigkeit der Engelsschen These klar geworden, daß das Terrain der Praxis (ohne Veränderung ihrer Grundstruktur) im Laufe ihrer Entwicklung größer, komplizierter, vermittelter geworden ist als in der bloßen Arbeit, weshalb der bloße Akt des Produzierens des Gegenstandes zwar die Grundlage zur unmittelbar richtigen Verwirklichung einer theoretischen Annahme werden und insofern als Kriterium ihrer Richtigkeit oder Falschheit gelten kann. Jedoch die Aufgabe, die Engels hier der unmittelbaren Praxis stellt, nämlich der Kantschen Lehre vom »unfaßbaren Ding an sich« ein Ende zu bereiten, ist damit noch lange nicht gelöst. Denn die Arbeit selbst kann sehr leicht bei der bloßen Manipulation stehen bleiben und an der Lösung der Frage nach dem Ansich - spontan oder bewußt - vorübergehen, sie ganz oder partiell ignorieren. Die Geschichte zeigt uns Fälle eines praktisch richtigen Handelns auf Grundlage ganz falscher Theorien, die ein Nichterfassen des Ansich im Sinne von Engels beinhalten. Ja selbst die Kantsche Theorie leugnet keineswegs den Erkenntniswert, die Objektivität von Experimenten dieser Art, nur verweist sie sie ins Reich der bloßen Erscheinungen bei Unerkennbarbleiben des Ansich. Und der heutige Neopositivismus will jede Frage nach Wirklichkeit (nach Ansich) aus der Wissenschaft entfernen, er lehnt jede Frage nach dem Ansich als »unwissenschaftlich« ab und das bei Anerkennung aller


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Ergebnisse der Technologie und der Naturwissenschaft. Damit also die Praxis ihre von Engels richtig geforderte Funktion ausüben könne, muß sie sich, Praxis bleibend, je zur umfassenden Praxis werdend, über diese Unmittelbarkeit erheben.


Meine damaligen Bedenken der Engelsschen Lösung gegenüber waren also nicht unbegründet. Um so falscher war jedoch meine Argumentation. Es war ganz unrichtig zu behaupten, daß »das Experiment die am reinsten kontemplative Verhaltensweise« ist. Meine eigene Beschreibung widerlegt diese Beweisführung. Denn das Herstellen eines Zustandes, in welchem die zu untersuchenden Naturkräfte sich »rein«, ungestört von hemmenden Momenten der Objektwelt, von Fehlbeobachtungen des Subjekts auswirken können, ist - ebenso wie die Arbeit selbst - eine teleologische Setzung, freilich besonderer Art, also dem Wesen nach doch eine reine Praxis. Ebenso unrichtig war es, die Praxis in der Industrie zu leugnen und in ihr »im dialektisch-geschichtlichen Sinn nur Objekt, nicht Subjekt der gesellschaftlichen Naturgesetze« zu erblicken. Was an diesem Satz - teilweise, sehr teilweise - richtig ist, bezieht sich bloß auf die ökonomische Totalität der kapitalistischen Produktion. Dem widerspricht jedoch keineswegs, daß jeder einzelne Akt der industriellen Produktion nicht nur die Synthese teleologischer Arbeitsakte ist, sondern zugleich, gerade in in dieser Synthese, ein teleologischer - also praktischer - Akt. In solchen philosophischen Schiefheiten rächt es sich, daß »Geschichte und Klassenbewußtsein« in seiner Analyse der ökonomischen Phänomene nicht in der Arbeit, sondern bloß in komplizierten Strukturen der entwickelten Warenwirtschaft seinen Ausgangspunkt sucht. Damit wird das philosophische Aufsteigen zu den entscheidenden Fragen, wie die Beziehung der Theorie zur Praxis, des Subjekts zum Objekt, von vornherein aussichtslos gemacht.


In diesem und ähnlichen höchst problematischen Ausgangspunkten zeigt sich der Einfluß des nicht konsequent mate-


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rialistisch bearbeiteten und damit - im doppelten Sinne -nicht aufgehobenen Hegelschen Erbes. Ich führe wieder ein zentral-prinzipielles Problem an. Es ist sicher ein großes Verdienst von »Geschichte und Klassenbewußtsein«, daß es der Kategorie der Totalität die die »Wissenschaftlichkeit« des sozialdemokratischen Opportunismus ganz in Vergessenheit drängte wieder jene methodologische Zentralstelle zuwies, die sie in den Werken von Marx immer hatte. Daß bei Lenin ähnliche Tendenzen wirksam waren, wußte ich damals nicht. (Die philosophischen Fragmente sind neun Jahre nach »Geschichte und Klassenbewußtsein« veröffentlicht ,worden.) Während aber Lenin auch in dieser Frage die Marxsche Methode wirklich erneuerte, entstand bei mir eine Hegelsche - Überspannung, indem ich die methodologische Zentralstelle der Totalität in Gegensatz zur Priorität des ökonomischen brachte: »Nicht die Vorherrschaft der ökonomischen Motive in der Geschichtserklärung unterscheidet entscheidend den Marxismus von der bürgerlichen Wissenschaft, sondern der Gesichtspunkt der Totalität.« Diese methodologische Paradoxie steigert sich noch dadurch, daß in der Totalität der kategorielle Träger des revolutionären Prinzips in der Wissenschaft erblickt wird: »Die Herrschaft der Kategorie der Totalität ist der Träger des revolutionären Prinzips in der Wissenschaft.«7

Ohne Frage spielten solche methodologische Paradoxien in der Wirkung von »Geschichte und Klassenbewußtsein« eine nicht unwichtige und vielfach sogar progressive Rolle. Denn einerseits bedeuten die Rückgriffe auf die Hegelsche Dialektik einen starken Schlag gegen die revisionistische Tradition; schon Bernstein wollte ja vor allem alles, was an die Hegelsche Dialektik erinnert, sub titulo »Wissenschaftlichkeit« aus dem Marxismus entfernen., Und seinen theoretischen Gegnern, vor allem Kautsky, stand nichts ferner, als diese Tradition zu verteidigen. Für die revolutionäre Rückkehr


7 Georg Lukács, Geschichte und Klassenbewußtsein, ein Malik, Berlin, 1923, S. 39; hier S.94.



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zum Marxismus war es also eine naheliegende Verpflichtung, die Hegelschen Traditionen des Marxismus zu erneuern. »Geschichte und Klassenbewußtsein« bedeutet den damals vielleicht radikalsten Versuch, das Revolutionäre an Marx durch Erneuerung und Weiterführung der Hegelschen Dialektik und seiner Methode wieder aktuell zu machen. Das Unternehmen ist dadurch noch aktueller geworden, daß zur selben Zeit in der bürgerlichen Philosophie Strömungen, die Hegel zu erneuern versuchten, immer stärker vordrangen. Freilich haben diese einerseits nie den philosophischen Bruch Hegels mit Kant zur Grundlage gemacht, andererseits waren sie unter Diltheys Einwirkung darauf gerichtet, theoretische Brücken zwischen der Hegelschen Dialektik und dem modernen Irrationalismus zu schlagen. Wenig nach Erscheinen von »Geschichte und Klassenbewußtsein« charakterisierte Kroner Hegel als den größten Irrationalisten aller Zeiten, und in der späteren Darstellung Löwiths werden aus Marx und Kierkegaard Parallelerscheinungen, die aus der Auflösung des Hegelianismus entspringen. Der Kontrast zu allen diesen Strömungen zeigt, wie aktuell die Fragestellung von »Geschichte und Klassenbewußtsein« war. Vom Standpunkt der Ideologie der radikalen Arbeiterbewegung auch deshalb, weil die von Plechanow und anderen sehr überschätzte Vermittlerrolle Feuerbachs zwischen Hegel und Marx hier in den Hintergrund trat. Offen ausgesprochen habe ich die Publikation von Lenins philosophischen Studien um Jahre vorwegnehmend - nur etwas später, im Aufsatz über Moses Hess, daß Marx unmittelbar an Hegel anknüpfte, sachlich liegt aber diese Position bereits vielen Erörterungen von »Geschichte und Klassenbewußtsein« zugrunde.


Es ist in einer solchen, notwendig summarischen Übersicht unmöglich, an Einzelbetrachtungen des Buches eine konkrete Kritik auszuüben, nämlich, wo eine Interpretation Hegels vorwärtsweisend, wo sie verwirrend war. Der heutige Leser wird, wenn er zur Kritik befähigt ist, sicher


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manche Beispiele beider Typen finden. Für die damalige Wirkung und auch für eine eventuelle Aktualität in der Gegenwart ist aber über alle Einzelbetrachtungen hinaus ein Problem von ausschlaggebender Bedeutung: die Entfremdung, die hier zum erstenmal seit Marx als Zentralfrage der revolutionären Kritik des Kapitalismus behandelt wird und deren theoriegeschichtliche wie methodologische Wurzeln auf die Hegelsche Dialektik zurückgeführt wurden. Natürlich lag das Problem in der Luft. Einige Jahre später rückte es durch Heideggers »Sein und Zeit« (1927) in den Mittelpunkt der philosophischen Diskussionen und hat diese Position, wesentlich infolge der Wirkung Sartres wie seiner Schüler und Opponenten, auch heute nicht verloren. Die philologische Frage, die vor allem L. Goldmann aufwarf, indem er in Heideggers Werk stellenweise eine polemische Replik auf mein - freilich ungenannt gebliebenes Buch - erblickte, kann hier übergangen werden. Die Feststellung, daß das Problem in der Luft lag genügt heute vollständig, besonders wenn, was hier nicht möglich ist die seienden Grundlagen dieses Tatbestandes eingehend analysiert werden, um die Weiterwirkung, die Mischung von marxistischen und existentialistischen Denkmotiven besonders in Frankreich unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg klarzulegen. Prioritäten, »Einflüsse« etc. sind dabei nicht allzu interessant. Wichtig bleibt bloß, daß die Entfremdung des Menschen als ein Zentralproblem der Zeit, in der wir leben, von bürgerlichen wie proletarischen, von politisch-sozial rechts oder links stehenden Denkern gleicherweise erkannt und anerkannt wurde. So übte »Geschichte und Klassenbewußtsein« eine tiefe Wirkung in den Kreisen der jungen Intelligenz aus; ich kenne eine ganze Reihe von guten Kommunisten, die gerade dadurch für die Bewegung gewonnen wurden. Ohne Frage war die Neuaufnahme dieses Hegel-Marxschen Problems seitens eines Kommunisten mitbegründend dafür, daß dieses Buch weit über die Grenzen der Partei hinaus Wirkungen ausübte.


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Was nun die Behandlung des Problems selbst betrifft, so ist es heute nicht mehr allzu schwer zu sehen, daß sie rein im Hegelschen Geist erfolgte. Vor allem, ihre letzte philosophische Grundlage bildet das im Geschichtsprozeß sich realisierende identische Subjekt-Objekt. Freilich ist sein Entstehen bei Hegel selbst von logisch-philosophischer Art, indem das Erlangen der höchsten Stufe des absoluten Geistes in der Philosophie mit der Zurücknahme der Entäußerung, mit der Rückkehr des Selbstbewußtseins zu sich selbst, das identische Subjekt-Objekt verwirklicht. In »Geschichte und Klassenbewußtsein« dagegen soll dieser Prozeß ein gesellschaftlich-geschichtlicher sein, der darin kulminiert, daß das Proletariat, in seinem Klassenbewußtsein diese Stufe identisches Subjekt-Objekt der Geschichte werdend - verwirklicht. Damit scheint Hegel tatsächlich »auf die Füße gestellt« zu sein,; es scheint, als ob die logisch-metaphysische Konstruktion der »Phänomenologie des Geistes« eine seinsmäßig echte Verwirklichung in Sein und Bewußtsein des Proletariats gefunden hätte, was wiederum der historischen Wendung des Proletariats, durch seine Revolution die klassenlose Gesellschaft zu begründen, die »Vorgeschichte« der Menschheit abzuschließen, eine philosophische Begründung zu geben scheint. Ist aber das identische Subjekt-Objekt in Wahrheit mehr als eine rein. metaphysische Konstruktion? Wird durch eine noch so adäquate Selbsterkenntnis, auch wenn diese zur Basis eine adäquate Erkenntnis der gesellschaftlichen Welt hätte, also in einem noch so vollendeten Selbstbewußtsein wirklich ein identisches Subjekt-Objekt zustande gebracht? Man muß diese Frage nur präzis stellen, um sie zu verneinen. Denn der Erkenntnisinhalt mag auf das erkennende Subjekt rückbezogen sein, der Erkenntnisakt verliert damit doch nicht seinen entäußerten Charakter. Hegel hat mit Recht, gerade in der »Phänomenologie des Geistes« die mystisch-irrationalistische Verwirklichung. des identischen. Subjekt-Objekts, die »intellektuelle Anschauung« Schellings abgelehnt und eine philosophisch rationale Lösung des Problems gefordert. Sein gesunder Realitätssinn ließ diese Forderung Forderung bleiben; seine allgemeinste Weltkonstruktion kulminiert zwar in der Perspektive ihrer Verwirklichung, er zeigt ,aber innerhalb seines Systems nie konkret, wie diese Forderung, zur Erfüllung gelangen könne. Das Proletariat als identisches Subjekt-Objekt der wirklichen Menschheitsgeschichte ist also keine materialistische Verwirklichung, die die idealistischen Gedankenkonstruktionen überwindet, sondern weit eher ein Überhegeln Hegels, eine Konstruktion, die an kühner gedanklicher Erhebung über jede Wirklichkeit objektiv den Meister selbst zu übertreffen beabsichtigt.


Diese Vorsicht Hegels hat in der Verstiegenheit seiner Grundkonzeption ihre gedankliche Basis. Denn bei Hegel erscheint zum erstenmal das Problem der Entfremdung als Grundfrage der Stellung des Menschen in der Welt, zu der Welt. Sie ist aber bei ihm, unter dem Terminus Entäußerung, zugleich das Setzen einer jeden Gegenständlichkeit. Entfremdung ist deshalb, zu Ende gedacht, mit dem Setzen von Gegenständlichkeit identisch. Das identische Subjekt-Objekt muß deshalb, indem es die Entfremdung aufhebt, zugleich auch die Gegenständlichkeit aufheben. Da jedoch der Gegenstand, das Ding bei Hegel nur, als Entäußerung des Selbstbewußtseins existiert, wäre deren Rücknahme ins Subjekt ein .Ende der gegenständlichen Wirklichkeit, also der Wirklichkeit überhaupt. »Geschichte und Klassenbewußtsein« folgt nun Hegel insofern, als auch in ihm Entfremdung mit Vergegenständlichung (um die Terminologie der »Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte« von Marx zu gebrauchen) gleichgesetzt wird. Dieser fundamentale und grobe Irrtum hat sicherlich vieles zum Erfolg von »Geschichte und Klassenbewußtsein« beigetragen. Die gedankliche Entlarvung der Entfremdung lag, wie schon ausgeführt, damals in der Luft, sie wurde sehr bald zu einer Zentralfrage in der Kulturkritik, die die Lage des Menschen im Kapitalismus' der Gegenwart untersuchte. Für die bürgerlich-philosophische Kulturkritik, es genügt an Heidegger zu denken, war es sehr


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naheliegend, die gesellschaftliche Kritik in eine rein philosophische zu sublimieren, aus der dem Wesen nach gesellschaftlichen Entfremdung eine ewige »condition humaine« zu machen, um einen später entstandenen Terminus zu gebrauchen. Es ist klar, daß diese Darstellungsweise von »Geschichte und Klassenbewußtsein«, wenn das Buch auch Anderes, ja Entgegengesetztes intentionierte, solchen Einstellungen entgegenkam. Die mit der Vergegenständlichung identifizierte Entfremdung war zwar als eine gesellschaftliche Kategorie gemeint - der Sozialismus sollte ja die Entfremdung aufheben -, ihre unaufhebbare Existenz in den Klassengesellschaften und vor allem ihre philosophische Begründung näherte sie trotzdem der »condition humaine« an.


Das folgt gerade, aus der immer wieder hervorgehobenen falschen Identifizierung der entgegengesetzten Grundbegriffe. Denn die Vergegenständlichung ist tatsächlich eine unaufhebbare Äußerungsweise im gesellschaftlichen Leben der Menschen. Wenn man bedenkt, daß jede Objektivation in der Praxis, so vor allem die Arbeit selbst eine Vergegenständlichung ist, daß jede menschliche Ausdrucksweise, so auch die Sprache, die menschlichen Gedanken und Gefühle vergegenständlicht usw., so ist evident, daß wir es hier mit einer allgemein menschlichen Form des Verkehrs der Menschen miteinander zu tun haben. Als solche ist die Vergegenständlichung freilich wertfrei: das Richtige ist ebenso eine Vergegenständlichung wie das Falsche, die Befreiung ebenso wie die Versklavung. Erst wenn die vergegenständlichten Formen in der Gesellschaft solche Funktionen erhalten, die das Wesen des Menschen mit seinem Sein in Gegensatz bringen, das menschliche Wesen durch das gesellschaftliche Sein unterjochen, entstellen, verzerren usw., entstehen das objektiv gesellschaftliche Verhältnis der Entfremdung und in ihrer notwendigen Folge alle subjektiven Kennzeichen der inneren Entfremdung. Diese Dualität wurde in »Geschichte und Klassenbewußtsein« nicht erkannt. Daher das Falsche und Schiefe seiner fundamentalen geschichtsphilosophischen


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Grundauffassung. (Daß auch das Phänomen der Verdinglichung, der Entfremdung nahe verwandt, aber weder gesellschaftlich noch begrifflich mit ihr identisch, gleichfalls synonym gebraucht wurde, sei nur am Rande bemerkt.)


Diese Kritik der Grundbegriffe kann nicht vollständig sein. Aber auch bei strikter Beschränkung auf die zentralen Fragen muß das Leugnen der Abbildlichkeit in der Erkenntnis kurz erwähnt werden. Sie hatte zwei Quellen. Die erste war die tiefe Abneigung gegen den mechanischen Fatalismus, der ihren Gebrauch im mechanischen Materialismus mit sich zu führen pflegte, gegen den mein damaliger messianischer Utopismus, die Vorherrschaft der Praxis in meinem Denken wieder in nicht völlig unberechtigter Weise - leidenschaftlich protestierte. Das zweite Motiv entsprang wieder dem Erkennen des Ursprungs und der Verankertheit der Praxis in der Arbeit. Die allerprimitivste Arbeit, schon das Steineauflesen des Urmenschen, setzt eine richtige, Widerspiegelung der hierbei unmittelbar in Betracht kommenden Wirklichkeit voraus. Denn keine teleologische Setzung ist erfolgreich vollziehbar ohne eine, wenn auch noch so primitiv unmittelbare Abbildung der von ihr praktisch gemeinten Wirklichkeit. Die Praxis kann nur darum Erfüllung und Kriterium der Theorie sein, weil ihr ontologisch, als reale Voraussetzung einer jeden realen teleologischen Setzung eine für richtig gehaltene Abbildung der Wirklichkeit zugrunde liegt. Auf die Details der hier entstandenen Polemik, auf die Berechtigung einer Ablehnung des photographischen Charakters in den landläufigen Widerspiegelungstheorien, lohnt es sich nicht, hier näher einzugehen.


Es ist, so glaube ich, kein Widerspruch, daß ich hier ausschließlich von den negativen Seiten von »Geschichte und Klassenbewußtsein« gesprochen habe und trotzdem meine, daß es in seiner Zeit, in seiner Art kein unbedeutendes Werk war. Schon die Tatsache, daß alles hier aufgezählte Fehlerhafte seine Quellen nicht so sehr in der Partikularität des


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Verfassers als in großen, wenn auch oft sachlich falschen Tendenzen der Periode hatte, verleiht dem Buch einen gewissen repräsentativen Charakter. Ein gewaltiger, welthisto­rischer Übergang rang damals um seinen theoretischen Ausdruck. Wenn eine Theorie zwar nicht das objektive Wesen der großen Krise, sondern bloß eine typische Stellungnahme zu ihren Grundproblemen zum Ausdruck brachte, so konnte sie geschichtlich eine gewisse Bedeutung erlangen. Das war, so glaube ich heute, der Fall mit »Geschichte und Klassenbewußtsein«.


Dabei will die hier vollzogene Darstellung keineswegs sagen, daß sämtliche Gedanken, die in diesem Buch zum Ausdruck kamen, ausnahmslos fehlerhaft sind. Sicher steht die Sache nicht so. Schon die einleitenden Bemerkungen zum ersten Aufsatz geben eine Bestimmung der Orthodoxie im Marxismus, die meiner gegenwärtigen Überzeugung nach nicht nur objektiv richtig ist, sondern, auch heute, am Vorabend einer Renaissance des Marxismus, eine beträchtliche Bedeutung haben könnte. Ich meine die folgenden Betrachtungen. » . . angenommen wenn auch nicht zugegeben -, die neuere Forschung hätte die sachliche Unrichtigkeit sämtlicher einzelnen Aussagen von Marx einwandfrei nachgewiesen, so könnte jeder ernsthafte >orthodoxe< Marxist alle diese neuen Resultate bedingungslos anerkennen, sämtliche einzelnen Thesen von Marx verwerfen -, ohne für eine Minute seine marxistische Orthodoxie aufgeben zu müssen. Orthodoxer Marxismus bedeutet also nicht ein kritikloses Anerkennen der Resultate von Marx' Forschung, bedeutet nicht einen >Glauben< an diese oder jene These, nicht die Auslegung eines >heiligen< Buches. Orthodoxie in Fragen des Marxismus bezieht sich vielmehr ausschließlich auf die Methode. Sie ist die wissenschaftliche Überzeugung, daß im dialektischen Marxismus die richtige Forschungsmethode gefunden wurde, daß diese Methode nur im Sinne ihrer Begründer ausgebaut, weitergeführt und vertieft werden kann. Daß aber alle Versuche sie zu überwinden oder zu >verbes-


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sern< nur zur Verflachung, zur Trivialität, zum Eklektizismus geführt haben und dazu führen mußten.«5


Und ohne mich als exzessiv unbescheiden zu empfinden, glaube ich, daß, man noch zahlreiche Gedanken von ähnlicher Richtigkeit finden kann. Ich erwähne nur das Einbeziehen der Jugendwerke. von Marx in das Gesamtbild seiner Weltanschauung, während die damaligen Marxisten im allgemeinen in diesen nur .historische Dokumente seiner persönlichen Entwicklung sehen wollten. Daß Jahrzehnte später dieses Verhältnis umgekehrt wurde, daß man vielfach den jungen Marx als den eigentlichen Philosophen darstellte und seine reifen Werke weitgehend vernachlässigte, daran ist »Geschichte und Klassenbewußtsein« unschuldig, denn in ihm wird das Marxsche Weltbild - richtig oder fehlerhaft -immer als ein wesentlich einheitliches behandelt.


Auch soll nicht geleugnet werden, daß es manche Stellen gibt, die einen Anlauf dazu nehmen, die dialektischen Kategorien in ihrer wirklichen seinsmäßigen Objektivität und Bewegung darzustellen, die deshalb in die Richtung einer echt marxistischen Ontologie des gesellschaftlichen Seins weisen. Es wird z.B. die Kategorie der Vermittlung so dargestellt: »Die Kategorie der Vermittlung als methodischer Hebel zur Überwindung der bloßen Unmittelbarkeit der Empire ist also nichts von außen (subjektiv) in die Gegenstände Hineingetragenes, ist kein Werturteil oder Sollen, das ihrem Sein gegenüberstände, sondern ist das Offenbarwerden ihrer eigentlichen, objektiven, gegenständlichen Struktur selbst.«9 Oder im engen Gedankenkontakt damit der Zusammenhang von Genesis und Geschichte: »Daß Genesis und Geschichte zusammenfallen oder genauer gesagt, bloß Momente desselben Prozesses sind, ist nur dann möglich, Wenn einerseits sämtliche Kategorien, in denen sich das menschliche Dasein aufbaut, als Bestimmungen dieses Daseins selbst (und nicht bloß seiner Begreifbarkeit) erscheinen, andererseits wenn ihre


5 AaO, S. 13; hier S. 58 f.

9 AaO, S.175 f.; hier S. 286 f.


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Abfolge, ihr Zusammenhang und ihre Verknüpfung sich als Momente des historischen Prozesses selbst, als struktive Charakteristik der Gegenwart zeigen. Abfolge und innerer Zusammenhang der Kategorien bilden also weder eine rein logische Reihe, noch ordnen sie sich nach der rein historischen Faktizität.«10 Der Gedankengang mündet konsequenterweise in einem Zitat aus der berühmten methodologischen Betrachtung von Marx in den fünfziger Jahren. Stellen ähnlicher Vorwegnahme, einer echt materialistisch-dialektischen Auslegung und Erneuerung von Marx sind nicht selten.


Wenn ich mich hier doch auf die Kritik des Verfehlten konzentriert habe, so hat das wesentlich praktische Gründe. Es ist eine Tatsache, daß »Geschichte und Klassenbewußtsein« auf viele Leser einen starken Eindruck machte und heute noch macht. Wirken dabei die richtigen Gedankengänge, so ist alles in Ordnung, und mein Verhalten als Autor ist dabei gänzlich irrelevant und uninteressant. Leider weiß ich, daß aus Gründen der gesellschaftlichen Entwicklung und der von ihr produzierten theoretischen Einstellung das, was ich heute als theoretisch falsch ansehe, oft zu den wirksamsten und einflußreichsten Momenten der Wirkung gehört. ,Darum halte ich mich für verpflichtet, bei einer Neuausgabe nach mehr als vierzig Jahren, vor allem zu diesen negativen Tendenzen des Buches das Wort zu ergreifen und seine Leser vor Fehlentscheidungen, die damals vielleicht schwer vermeidlich waren, es heute jedoch längst nicht mehr sind, zu warnen.


Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß »Geschichte und Klassenbewußtsein« in bestimmtem Sinne die Zusammenfassung und der Abschluß meiner 1918-19 beginnenden Entwicklungsperiode war. Die folgenden Jahre zeigten dies immer deutlicher. Vor allem verlor der messianische Utopismus dieser Periode immer mehr an realem (selbst an real scheinendem) Boden. 1924 starb Lenin. Und die Partei-


10 AaO, S. 175; hier S. 282.



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kämpfe nach seinem Tode konzentrierten sich immer stärker auf die Frage der Möglichkeit des Sozialismus in einem Land. Über die theoretische, abstrakte Möglichkeit hatte freilich Lenin selbst längst gesprochen. Jedoch die nahe scheinende Perspektive der Weltrevolution hob damals ihren bloß theoretisch-abstrakten Charakter hervor. Daß nunmehr die Diskussion um die reale, um die konkrete Möglichkeit ging, ,zeigte, daß man in diesen Jahren kaum mehr ernsthaft mit einer nahen weltrevolutionären Perspektive rechnen konnte. (Diese tauchte erst infolge der Wirtschaftskrise von 1929 zeitweilig wieder auf.) Als Ergänzung dazu diente, daß die III. Internationale nach 1924 den Stand der kapitalistischen Welt mit Recht als »relative Stabilisierung« auffaßte. Diese Tatsachen bedeuteten auch für mich die Notwendigkeit einer theoretischen Neuorientierung. Daß ich in der russischen Parteidiskussionen an der Seite Stalins, auf der der Bejahung des Sozialismus in einem Lande stand, zeigte sehr deutlich den Beginn einer entscheidenden Wandlung.


Sie war unmittelbar aber wesentlich vor allem von den Erfahrungen der ungarischen Parteiarbeit bestimmt. Die richtige. Politik der Landler-Fraktion begann ihre Früchte zu tragen. Die streng illegal arbeitende Partei gewann einen immer größeren Einfluß auf den linken Flügel der Sozialdemokratie, so daß 1924-25 eine Parteispaltung, die Begründung einer radikalen, aber auf Legalität ausgerichteten Arbeiterpartei möglich wurde. Diese illegal von Kommunisten geleitete Partei stellte sich als strategische Aufgabe die Herstellung der Demokratie in Ungarn, kulminierend in der Forderung der Republik; während die illegale kommunistische Partei selbst an der alten strategischen Parole von der Diktatur des Proletariats festhielt. Ich war damals mit dieser Entscheidung taktisch einverstanden, nur entstand in mir immer stärker ein ganzer Komplex von quälend ungelösten Problemen bezüglich der theoretischen Berechtigung der so entstandenen Lage.


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Schon diese Gedankengänge begannen die geistigen Fundamente der Zeit zwischen 1917 und 1924 zu unterminieren. Dazu kam, daß die so evident gewordene Verlangsamung des Tempos der weltrevolutionären Entwicklung notwendig in die Richtung einer Kooperation der einigermaßen links gerichteten gesellschaftlichen Elemente gegen die heraufziehende und sich verstärkende Reaktion drängte. Das war für eine legale und linksradikale Arbeiterpartei im Horthy-Ungarn eine glatte Selbstverständlichkeit. Aber auch die internationale Bewegung zeigte Tendenzen, die in diese Richtung wiesen. Schon 1922 erfolgte der Marsch auf Rom und die kommenden Jahre brachten auch in Deutschland ein Erstarken des Nationalsozialismus, eine wachsende Sammlung aller reaktionären Kräfte. So mußten die Probleme von Einheitsfront und Volksfront auf die Tagesordnung kommen und theoretisch wie strategisch und taktisch durchdacht werden. Dabei konnte man von der immer stärker unter den Einfluß Stalinscher Taktik geratenen III. Internationale selten etwas Richtungweisendes erwarten. Sie schwankte taktisch zwischen rechts und links hin und her. Stalin selbst griff theoretisch höchst verhängnisvoll in diese Unsicherheit ein, indem er um 1928 die Sozialdemokraten »,Zwillingsbrüder« der Faschisten nannte. Damit war vor jeder Einheitsfront der Linken die Tür zugeschlagen. Obwohl ich in der russischen Zentralfrage auf Stalins Seite stand, hat mich diese seine Stellungnahme tief abgestoßen. Sie hinderte um so weniger meine allmähliche Abkehr von den ultralinken Tendenzen der ersten Revolutionsjahre, als die meisten Linksgruppierungen in den europäischen Parteien sich zum Trotzkismus bekannten, zu dem ich immer eine ablehnende Haltung annahm. Freilich, wenn ich, etwa für Deutschland, dessen Politik mich am meisten beschäftigte, gegen Ruth Fischer und Masslow war, so bedeutet dies keinerlei Sympathie etwa für Brandler und Thalheimer. Ich suchte damals zur eigenen Klärung, zur politisch-theoretischen Selbstverständigung nach einem »echten« linken Programm, das diesen


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Gegensätzen etwa in Deutschland ein Drittes entgegenstellen sollte. Der Traum einer solchen theoretisch-politischen Lösung der Widersprüche in der Übergangszeit blieb aber eben Traum. Es ist mir nie gelungen, eine auch nur mich selbst befriedigende Lösung zu finden, und so trat ich in dieser Periode nie praktisch-theoretisch vor die internationale Öffentlichkeit.


Anders war die Lage in der ungarischen Bewegung. Landler starb 1928 und 1929 bereitete die Partei ihren II. Kongreß vor. Mir fiel die Aufgabe zu, den Entwurf für die politischen Thesen des Kongresses zu schreiben. Das hat mich mit meinem alten Problem in der ungarischen Frage konfrontiert: kann eine Partei sich gleichzeitig zwei verschiedene strategische Ziele (legal.. Republik, illegal: Räterepublik) setzen? Oder von einer anderen Seite betrachtet: kann die Stellungnahme zur Staatsform Inhalt einer bloß taktischen Zweckmäßigkeit sein (also: die Perspektive der illegal kommunistischen Bewegung als echte Zielsetzung, die der legalen Partei als bloß taktische Maßnahme)? Eine eingehende Analyse der ökonomisch-sozialen Lage Ungarns überzeugte mich immer mehr davon, daß Landler seinerzeit mit der strategischen Parole der Republik instinktiv die zentrale Frage einer richtigen revolutionären Perspektive für Ungarn berührte: auch im Falle einer so tiefen Krise des Horthy-Regimes, daß sie die objektiven Bedingungen einer grundlegenden Umwälzung herbeiführt, ist für Ungarn ein direkter Übergang zur Räterepublik nicht möglich. Die legale Parole der Republik muß daher im Sinne Lenins konkretisiert werden, als das, was dieser 1905 demokratische Diktatur der Arbeiter und Bauern nannte. Es ist heute für die meisten schwer verständlich, wie paradox damals diese Parole wirkte. Obwohl der VI. Kongreß der III. Internationale diese Möglichkeit als Möglichkeit erwähnte, meinte man allgemein, da Ungarn 1919 bereits eine Räterepublik war, sei ein solcher Schritt nach rückwärts historisch unmöglich.

Es ist hier nicht der Ort, auf diese Meinungsverschieden-

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heiten einzugehen. Um so weniger, als der Text dieser Thesen, so umwälzend sie für meine ganze weitere Entwicklung waren, heute kaum mehr als theoretisch wichtiges Dokument betrachtet werden kann. Dazu war meine Darstellung weder prinzipiell noch konkret genug, was - teilweise - auch dadurch verursacht war, daß ich, um den Hauptinhalt annehmbarer zu machen, sehr viele Einzelheiten abgeschwächt, allzu allgemein behandelt hatte. Auch so entstand in der ungarischen Partei ein großer Skandal. Die Gruppe um Kun sah in den Thesen den reinsten Opportunismus; die Unterstützung meiner eigenen Fraktion war ziemlich lau. Als ich aus verläßlicher Quelle erfuhr, Béla Kun bereite vor, mich als »Liquidatoren« aus der Partei ausschließen zu lassen, gab ich deshalb in Kenntnis von Kuns Einfluß in der Internationale den weiteren Kampf auf und veröffentlichte eine »Selbstkritik«. Ich war zwar auch damals von der Richtigkeit meines Standpunkts fest überzeugt, wußte aber auch

- z.B. aus dem Schicksal von Karl Korsch -, daß damals ein Ausschluß aus der Partei die Unmöglichkeit bedeutete, an dem Kampf gegen den nahenden Faschismus sich aktiv zu beteiligen. Als »Eintrittskarte« für eine solche Tätigkeit verfaßte ich diese Selbstkritik, da ich unter diesen Umständen nicht mehr in der ungarischen Bewegung arbeiten konnte und wollte.


Wie wenig ernst gemeint diese Selbstkritik war, zeigt, daß die Wendung der Grundeinstellung, die den Thesen zugrunde lag (allerdings ohne darin einen auch nur annähernd adäquaten Ausdruck zu erhalten), von nun an: den Leitfaden für meine weitere theoretische wie praktische Tätigkeit abgab. Selbstredend gehört eine noch so gedrängte Skizze darüber nicht mehr in den Rahmen dieser Betrachtungen. Nur als Dokument dafür, daß es sich hier nicht um subjektive Einbildung eines Autors, sondern um objektive, Tatsachen handelt, führe ich einige, gerade auf die Blumthesen bezüglich Bemerkungen von Jószef Révai (aus, dem Jahre 1950) an, in denen er ,als Chefideologe. der Partei meine


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damaligen literarischen Anschauungen als direkte Folgen der Blumthesen darstellt: »Wer die Geschichte der ungarischen kommunistischen Bewegung kennt, weiß, daß die literarischen Ansichten, die Genosse Lukács 1945 bis 1949 vertrat, mit seinen viel älteren politischen Ansichten in Zusammenhang stehen, die er hinsichtlich der politischen Entwicklung in

Ungarn und der Strategie der kommunistischen Partei am Ende der zwanziger Jahre vertrat.«11


Diese Frage hat auch einen anderen, für mich wichtigeren ,Aspekt, worin die hier vollzogene Wendung eine ganz deutliche Physiognomie erhält. Dem Leser dieser Schriften wird klargeworden sein, daß mich in sehr wesentlicher Weise auch ethische Motive zu dem Entschluß führten, mich aktiv der kommunistischen Bewegung anzuschließen. Als ich es tat, hatte ich keine Ahnung davon, daß ich damit für ein Jahrzehnt Politiker werden würde. Die Umstände bestimmten es. Als im Februar 1919 das Zentralkomitee der Partei verhaftet wurde, hielt ich es wiederum für meine Pflicht, die angebotene Stelle im - halb illegalen - Ersatzkomitee anzunehmen. In dramatischer Kontinuität folgten: Volkskommissariat für Unterricht in der Räterepublik und politisches Volkskommissariat in der Roten Armee, illegale Arbeit in Budapest, Fraktionskampf in Wien usw. Erst jetzt wurde ich: wieder vor eine reale Alternative gestellt. Meine - interne, private - Selbstkritik entschied: wenn ich so offenkundig recht hatte, wie ich es hatte, und doch eine derartig eklatante Niederlage erleiden mußte, mußten meine praktisch-politischen Fähigkeiten eine ernste Problematik aufweisen. Darum konnte ich mich nunmehr mit gutem Gewissen von der politischen Laufbahn zurückziehen' und mich wieder auf die theoretische Tätigkeit konzentrieren. Ich habe diesen Entschluß nie bereut. (Daß ich 1956 wieder einen Ministerposten annehmen mußte, bedeutete keinen Widerspruch. Ich habe vor der Annahme erklärt, sie wäre nur für


11 Jószef Révai, Literarische Studien, Dietz, Berlin 1956, S. 235.


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eine Übergangszeit, für die Zeit der akutesten Krise gültig; sobald eine Konsolidation erfolgt, würde ich sofort wieder zurücktreten.)


Ich habe, was die Analyse meiner theoretischen, Tätigkeit in engerem Sinne nach, »Geschichte und Klassenbewußtsein« betrifft, ein halbes Jahrzehnt übersprungen und kann erst jetzt auf dies,e Schriften etwas näher eingehen. Das Abweichen von der Chronologie rechtfertigt sich dadurch, daß der theoretische Gehalt der Blumthesen, natürlich ohne, daß ich es auch nur geahnt hätte, den geheimen terminus ad quem meiner Entwicklung gebildet hat. Erst indem ich in einer konkreten und wichtigen Frage, in der die verschiedenartigsten Probleme und Bestimmungen zusammenlaufen, jenen Komplex des ,gegensätzlich gearteten Dualismus, der mein Denken seit den letzten Kriegsjahren charakterisierte, entschieden zu überwinden begann, konnten meine Lehrjahre des Marxismus als beendet, betrachtet werden. Diese Entwicklung nun, deren Abschluß eben die Blumthesen bilden, soll jetzt an der Hand meiner damaligen theoretischen Produktion nachgezeichnet werden. Ich glaube, daß die im voraus fixierte Klarheit darüber, wohin dieser Weg geführt hat, eine solche Darstellung erleichtert, insbesondere wenn man, in Betracht zieht, daß ich in dieser Zeit meine Energie vor allem auf die praktischen Aufgaben der ungarischen Bewegung konzentrierte und meine theoretische Produktion vorwiegend aus bloßen Gelegenheitsarbeiten bestand.


Schon die erste und dem Umfang nach größte dieser Schriften, der Versuch, ein intellektuelles Porträt Lenins zu zeichnen, ist im wörtlichen Sinne eine Gelegenheitsschrift. Sofort nach Lenins Tod bat mich mein Verleger, eine kurzgefaßte Monographie über ihn zu schreiben; ich folgte der Anregung und vollendete die kleine Schrift in wenigen Wochen. Sie bezeichnet insofern einen Fortschritt über »Geschichte und Klassenbewußtsein« hinaus, als die Konzentration auf das große Modell mir dazu verhalf, den Begriff der Praxis klarer, in echterem, seinsmäßigerem, dialektischerem Zusammen


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mit der Theorie zu erfassen. Natürlich ist hier die Perspekive der Weltrevolution die der zwanziger Jahre, aber teils infolge der Erfahrungen der dazwischenliegenden kurzen Zeit, teils infolge der Konzentration auf die geistige Persönlichkeit Lenins begannen die ausgesprochensten sektiererischen Züge aus »Geschichte und Klassenbewußtsein« etwas zu verblassen und von wirklichkeitsnäheren abgelöst zu werden. In einem Nachwort, das ich vor kurzem zur separaten Neuauflage dieser kleinen Studie schrieb12, habe ich versucht, das, was ich an ihrer Grundeinstellung noch für gesund, und aktuell halte, etwas ausführlicher als in ihr selbst herauszustellen. Es kommt dabei vor allem darauf an, Lenin weder als einfachen, geradlinigen theoretischen Fortsetzer von Marx und Engels noch als genial-pragmatischen »Realpolitiker«, sondern in seiner echten geistigen Eigenart zu erfassen. In aller Kürze ließe sich dieses Bild von Lenin so formulieren: seine theoretische Stärke beruht darauf, daß er jede Kategorie - und sei sie noch so abstrakt philosophisch - auf ihre Wirkung innerhalb der menschlichen Praxis hin betrachtet und gleichzeitig bei jedem Handeln, das bei ihm stets auf einer konkreten Analyse der jeweiligen konkreten Lage beruht, diese Analyse mit den Prinzipien des Marxismus in einen organischen und dialektischen Zusammenhang bringt. So ist er im strikten Sinne des Wortes weder Theoretiker noch Praktiker, sondern ein tiefer Denker der Praxis, ein leidenschaftlicher Umsetzer der Theorie in Praxis, jemand, dessen scharfsinniger Blick immer auf die Umschlagspunkte gerichtet ist, wo Theorie in Praxis, Praxis in Theorie übergeht. Daß der zeitgeschichtlich-geistige Rahmen meiner alten Studie, innerhalb dessen Bereich diese Dialektik sich abspielt, noch die typischen Züge der zwanziger Jahre an sich trägt, verschiebt zwar einiges an der intellektuellen Physiognomie Lenins, da er besonders in seiner letzten Lebenszeit die Kritik der Gegenwart viel weiter trieb als dieser sein Biograph, gibt aber deren Haupt-


12 Georg Lukács, Lenin, Luchterhand, Neuwied 1967, S. 87 ff.



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züge doch wesentlich richtig wieder, denn Lenins theoretisch-praktisches Lebenswerk ist auch objektiv unlösbar mit den Vorbereitungen von 1917 und seinen notwendigen Folgen verknüpft. Die Beleuchtung aus der Mentalität der zwanziger Jahre gibt also, so glaube ich heute, nur eine nicht ganz identische, aber doch nicht völlig fremde Nuance zu dem Versuch, die spezifische Besonderheit dieser großen Persönlichkeit adäquat zu erfassen.


Alles andere, was ich in den späteren Jahren schrieb, ist nicht nur äußerlich Gelegenheitsarbeit (zumeist sind es Buchbesprechungen), sondern auch innerlich, indem ich spontan eine neue Orientation suchend durch Abgrenzung von fremden Anschauungen den eigenen zukünftigen Weg zu klären versuchte. Sachlich ist dabei vielleicht die Besprechung Bucharins die wichtigste (für den heutigen Leser sei dazu am Rande bemerkt, daß 1925, als sie veröffentlicht wurde, Bucharin neben Stalin die wichtigste Figur der führenden Gruppe in der russischen Partei war; erst drei Jahre später erfolgte der Bruch zwischen ihnen). Der positivste Zug dieser Rezension ist die Konkretisierung meiner eigenen Anschauungen auf dem Gebiet der Ökonomie; sie zeigt sich vor allem in der Polemik gegen die weitverbreitete, sowohl kommunistisch- vulgärmaterialistische wie bürgerlich-positivistische Anschauung, als ob man in der Technik das objektiv treibende und entscheidende Prinzip der Entwicklung der Produktivkräfte zu erblicken hätte. Daß damit ein historischer Fatalismus, eine Ausschaltung des Menschen und der gesellschaftlichen Praxis, eine Wirkung der Technik als gesellschaftlicher »Naturkraft«, »Naturgesetzlichkeit« gesetzt wird, ist evident. Meine Kritik bewegt sich nicht nur auf einer historisch ,konkreteren Ebene als zumeist in »Geschichte und Klassenbewußtsein«, es werden auch dem mechanisierenden Fatalismus weniger voluntaristisch-deologische Gegenkräfte entgegengestellt, es wird vielmehr versucht, in den ökonomischen Kräften selbst das gesellschaftlich führende und damit die Technik selbst bestimmende Moment aufzuzeigen. Ähn-


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lich ist die kleine Rezension über das Buch von Wittfogel eingestellt. Beide Darlegungen leiden theoretisch darunter, daß mechanistischer Vulgärmaterialismus und Positivismus undifferenziert als einheitliche Richtung behandelt werden, ja dieser ,vielfach in jenem zum Verschwinden gebracht wird.


Wichtiger sind die viel eingehenderen Besprechungen der Neuausgaben von Lassalles Briefen und von Moses Hess' Schriften. In beiden Besprechungen dominiert die Tendenz, der Gesellschaftskritik der gesellschaftlichen Entwicklung eine konkretere ökonomische Basis zu geben, als dies »Geschichte und Klassenbewußtsein« zu tun vermochte, die Kritik des Idealismus, die Weiterbildung der Hegelschen Dialektik in den Dienst der Erkenntnis von so gewonnenen Zusammenhängen zu stellen. Damit wird die Kritik des jungen Marx aus der »Heiligen Familie« den idealistischen angeblichen Überwindern von Hegel gegenüber aufgenommen, das Motiv, daß solche Tendenzen, indem sie subjektiv über ,Hegel hinauszugehen vermeinen, objektiv bloß Erneuerungen des Fichteschen subjektiven Idealismus vorstellen. Es entspricht z.B. auch den konservativen Motiven in Hegels Denken, wenn seine Geschichtsphilosophie nicht weiter führt, als die Gegenwart in ihrer Notwendigkeit aufzuzeigen, und es waren sicherlich subjektiv revolutionäre Triebfedern, die in der Fichteschen Geschichtsphilosophie die Gegenwart als »Zeitalter der vollendeten Sündhaftigkeit« in die Mitte zwischen Vergangenheit und philosophisch - angeblich - erkennbare Zukunft gesetzt haben. Schon in der Lassalle-Kritik wird gezeigt, daß dieser Radikalismus ein bloß eingebildeter ist, daß in der Erkenntnis der wirklichen historischen Bewegung die Hegelsche Philosophie eine höhere Stufe als die Fichtesche repräsentiert, indem die objektiv intentionierte gesellschaftlich-geschichtliche Vermittlungsdynamik, die die Gegenwart herbeiführt, realer, weniger rein ideenhaft konstruiert ist als das Weisen in die Zukunft bei Fichte. Lassalles Sympathie für solche Gedankenrichtungen ist in seiner rein idealistischen Gesamtschau der Welt veran-


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kert; sie sträubt sich gegen. jene Diesseitigkeit, die aus dem Zuendeführen eines ökonomisch fundierten Geschichtsablaufs folgen müßte. Die ,Rezension zitiert dabei, um den Abstand zwischen Marx und Lassalle hervorzuheben, den Ausspruch des letzteren aus einem Gespräch mit Marx: »Wenn.. Du nicht an die Ewigkeit der Kategorien glaubst, mußt Du an Gott glauben.« Dieses energische Herausstellen der philosophisch rückständigen Züge in Lassalles Denken war damals zugleich. eine theoretische Polemik gegen Strömungen in der Sozialdemokratie, die bestrebt waren, im Gegensatz zu der Kritik, die Marx an Lassalle ausgeübt hat, aus diesem einen ebenbürtigen Begründer der sozialistischen Weltauffassung zu machen. Ohne auf sie direkt Bezug zu nehmen, habe ich diese Tendenz als Verbürgerlichung bekämpft. Auch diese Absicht half dazu, in bestimmten Fragen dem echten Marx näher zu kommen, als »Geschichte~ und Klassenbewußtsein« es zu tun vermochte.


Die Besprechung der ersten Sammlung der Schriften von Moses Hess hatte keine so geartete politische Aktualität. Um so stärker wirkte das Bedürfnis, gerade wegen meiner Wiederaufnahme der Ideen des jungen Marx, mich von seinen theoretischen Zeitgenossen, vom linken Flügel im Auflösungsprozeß der Hegelschen Philosophie, vom damit oft eng verbundenen »wahren Sozialismus« abzugrenzen. Diese Absicht verhalf auch dazu, daß die Tendenzen zur philosophischen Konkretisierung der Probleme der Ökonomie und ih­rer gesellschaftlichen Entwicklung hier noch energischer in den Vordergrund treten. Die unkritische Betrachtung Hegels ist zwar noch keineswegs überwunden, die Kritik an Hess geht ebenso wie »Geschichte und Klassenbewußtsein.« von der angeblichen Identität der Vergegenständlichung und der Entfremdung aus. Der ,Fortschritt über die frühere Auffassung hinaus erhält jetzt eine paradoxe Form, indem, einerseits gegen Lassalle und die radikalen Junghegelianer jene Tendenzen Hegels in den Vordergrund gerückt werden, die die ökonomischen Kategorien als gesellschaftliche Realitäten darstellen, andererseits in einer scharfen Stellungnahme gegen das Undialektische in der Feuerbach-Kritik Hegels. Der letztere Gesichtspunkte führt zu der bereits hervorgehobenen Feststellung vom unmittelbaren Anknüpfen Marxens an Hegel, der erste zum Versuch einer näheren Bestimmung des Verhältnisses zwischen Ökonomie und Dialektik. So wird z.B an die »Phänomenologie« anknüpfend, dem Transzendieren eines jeden subjektiven Idealismus gegenüber die Betonung der Diesseitigkeit in der ökonomisch-sozialen Dialektik Hegels hervorgehoben. So wird auch die Entfremdung so gefaßt, daß sie »weder Gedankengebilde noch eine >verwerfliche< Wirklichkeit« ist, »sondern die unmittelbar gegebene Daseinsform der Gegenwart als Übergang zu ihrer Selbstüberwindung im historischen Prozeß«. Daran schließt sich eine auf Objektivität gerichtete Weiterbildung von »Geschichte und Klassenbewußtsein« in bezug auf Unmittelbarkeit und Vermittlung im Entwicklungsprozeß der Gesellschaft an. Das Wichtigste an solchen Gedankengängen ist, daß sie in der Forderung einer neuen Art von Kritik kulminieren, die bereits, ausgesprochen den direkten Anschluß an die Marxsche »Kritik der politischen Ökonomie« sucht. Dieses Bestreben erhielt nach der entschiedenen und prinzipiellen Einsicht in das Verfehlte der ganzen Anlage von »Geschichte und Klassenbewußtsein« die Gestalt eines Planes, die philosophischen Zusammenhänge von Ökonomie und Dialektik zu ergründen. Schon Anfang der dreißiger Jahre in Moskau und Berlin kam es zum ersten Anlauf seiner Verwirklichung: zur ersten Niederschrift meines Buches über den jungen Hegel (vollendet erst im, Herbst 1937)13 Eine wirkliche Bewältigung dieses Problemkomplexes versuche ich jetzt, dreißig Jahre später, in der Ontologie des gesellschaftlichen Seins, an der ich jetzt arbeite.


Wie weit diese Tendenzen in den drei Jahren, die den Hess-Aufsatz von den Blumthesen trennen, fortgeschritten sind, darüber kann ich heute, da keine Dokumente vorliegen,


13 Georg Lukács, Der junge Hegel, Werke Band 8, Luchterhand, Neuwied 1967.


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nichts Bestimmtes aussagen. Ich glaube nur, es ist höchst unwahrscheinlich, daß die praktische Parteiarbeit, in der konkrete ökonomische Analysen immer wieder notwendig wurden, auch in ökonomisch-theoretischer Hinsicht gar keine Förderung für mich gebracht hätte. Jedenfalls ist 1929 die bereits geschilderte große Wendung mit den Blumthesen erfolgt, und mit so gewandelten Anschauungen wurde ich 1930 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Moskauer Marx-Engels-Instituts. Hier kamen mir zwei unerwartete Glücksfälle zur Hilfe: ich kam in die Lage, das bereits völlig entzifferte Manuskript der »Ökonomisch-Philosophischen Manuskripte« zu lesen und machte die Bekanntschaft von M. Lifschitz, als Anfang einer Freundschaft fürs ganze Leben. In der Marx-Lektüre brachen alle idealistischen Vorurteile von »Geschichte und Klassenbewußtsein« zusammen. Es ist sicher richtig, daß ich das, was mich dabei theoretisch umgeworfen hat, auch in den früher von mir gelesenen Marxschen Texten hätte finden können. Es ist aber eine Tatsache, daß das nicht geschah, offenbar, weil ich diese von Anfang an in einer damals selbstvollzogenen Hegelianischen Interpretation las, und erst ein völlig neuer Text diesen Schock ausüben konnte. (Natürlich kommt dazu, daß ich damals schon in den Blumthesen die gesellschaftspolitische Grundlage dieses Idealismus überwunden hatte.) Jedenfalls kann ich mich noch heute an den umwälzenden Eindruck erinnern, den die Worte von Marx über Gegenständlichkeit als primär materielle Eigenschaft aller Dinge und Beziehungen auf mich machten. Daran schloß sich die hier bereits dargelegte Einsicht, daß Vergegenständlichung eine natürliche - je nachdem positive oder negative - Art der menschlichen Bewältigung der Welt ist, während Entfremdung eine spezielle Abart darstellt, die sich unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen verwirklicht. Damit waren die theoretischen Fundamente, dessen, was die Besonderheit von »Geschichte und Klassenbewußtsein« ausmachte, endgültig zusammengebrochen. Das Buch ist für mich völlig fremd geworden, ebenso wie 1918-19


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meine früheren Schriften. Es wurde mir auf einmal klar: will ich das mir theoretisch Vorschwebende verwirklichen, so muß ich nochmals ganz von vorn anfangen.


Ich wollte damals diese meine neue Stellungnahme auch für die Öffentlichkeit schriftlich fixieren. Mein Versuch, dessen Manuskript inzwischen verlorengegangen ist, war jedoch nicht zu verwirklichen. Das machte mir damals wenig Sorge: ich befand mich im begeisterten Rausch des Neuanfangens. Ich sah aber auch, daß dieses nur auf Grundlage sehr umfassender neuer Studien sinnvoll werden konnte, daß viele Umwege nötig waren, um mich innerlich in die Lage zu versetzen, das, was in »Geschichte und Klassenbewußtsein« auf Fehlwege ging, in wissenschaftlich, marxistisch angemessener Weise darzustellen. Einen solchen Umweg habe ich bereits angedeutet: es war der, der von der Hegel-Studie über das Projekt eines Werks über Ökonomie und Dialektik zu meinem gegenwärtigen Versuch einer Ontologie des gesellschaftlichen Seins führte.


Parallel damit entstand der Wunsch, meine Kenntnisse auf den Gebieten von Literatur, Kunst und ihrer Theorie zum Ausbau einer marxistischen Ästhetik zu verwerten. Hier entstand die erste gemeinsame Arbeit mit M. Lifschitz. In vielen Gesprächen wurde uns beiden klar, daß selbst die besten und fähigsten Marxisten; wie Plechanow und Mehring, den weltanschaulich universellen Charakter des Marxismus nicht hinreichend tief erfaßten und deshalb nicht begriffen haben, daß Marx uns auch die Aufgabe stellt, eine systematische Ästhetik auf dialektisch-materialistischer Grundlage aufzubauen. Es ist hier nicht der Ort, die großen Verdienste philosophischer, wie philologischer Art von Lifschitz auf diesem Gebiet zu schildern. Was mich selbst betrifft, so entstand in dieser Zeit der Aufsatz über die Sickingendebatte zwischen Marx-Engels und Lassalle14, in welchem, natürlich auf ein besonderes Problem beschränkt, die Umrisse dieser Auffassung bereits klar. sichtbar geworden sind. Nach anfänglich


14 In Internationale Literatur, Jg. 3, Nr. 2, Moskau 1933, S. 95-126.


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starkem Widerstand, besonders von vulgärsoziologischer Seite, hat sich diese Auffassung inzwischen in weiten Kreisen des Marxismus durchgesetzt. Weitere Andeutungen darüber gehören nicht hierher. Ich will nur kurz darauf hinweisen, daß die hier geschilderte allgemein philosophische Wendung in meinem Denken während meiner Tätigkeit als Kritiker in Berlin (1931-33) deutlich zum Ausdruck kam. Nicht nur stand das Problem der Mimesis im Mittelpunkt meines Interesses, sondern indem ich vor allem. naturalistische Tendenzen kritisierte, auch die Anwendung der Dialektik auf die Abbildtheorie. Denn jedem Naturalismus liegt ja theoretisch die »photographische« Widerspiegelung der Wirklichkeit zugrunde. Die scharfe Betonung des Gegensatzes zwischen Realismus und Naturalismus, die sowohl im Vulgärmarxismus wie in den bürgerlichen Theorien fehlt, ist eine unersetzliche Voraussetzung der dialektischen Theorie der Widerspiegelung, folglich auch einer Ästhetik im Geiste von Marx.


Diese Andeutungen, obwohl sie nicht strikt zum hier behandelten Themenkreis gehören, mußten schon darum gemacht werden, um Richtung und Motive jener Wendung anzudeuten, die die Einsicht in die Falschheit der Fundamente von »Geschichte ,und Klassenbewußtsein« für meine Produktion bedeutete, die mir das Recht gibt, hier den Punkt zu erblicken, wo meine Lehrjahre des Marxismus und damit meine Jugendentwicklung ihr Ende fanden. Es kommt jetzt nur noch darauf an, einige Bemerkungen zu meiner berüchtigt gewordenen Selbstkritik über »Geschichte und Klassenbewußtsein« zu sagen. Ich muß mit dem Bekenntnis anfangen, daß ich meinen geistig überholten Arbeiten gegenüber zeit meines Lebens höchst gleichgültig war. So habe ich ein Jahr nach Erscheinen von »Die Seele und die Formen« in einem Dankbrief an Margarethe Susmann für ihre Besprechung des Buches geschrieben, daß »mir das Ganze und seine Form fremd geworden ist«. So war es mit »Theorie des Romans«, so auch diesmal mit »Geschichte und Klassenbewußtsein«.


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Als ich nun 1933 wieder in die Sowjetunion kam, als sich dort die Perspektive einer fruchtbaren Tätigkeit eröffnete - die literaturtheoretische Oppositionsrolle der Zeitschrift »Literaturni Kritik« zwischen 1934-39 ist allgemein bekannt -, war es für mich eine taktische Notwendigkeit, mich von ,»Geschichte und Klassenbewußtsein« öffentlich zu distanzieren, damit der wirkliche Partisanenkampf gegen offizielle und halboffizielle Theorien der Literatur nicht durch Gegenangriffe gestört werde, in denen nach meiner eigenen Überzeugung der Gegner, mochte er noch so borniert argumentieren, sachlich recht gehabt hätte. Natürlich mußte ich mich damals, um eine Selbstkritik veröffentlichen zu können, der eben herrschenden Sprachregelung unterwerfen. Darin allein aber besteht das Moment der Anpassung in dieser Erklärung. Sie war wieder eine Eintrittskarte zum weiteren Partisanenkampf; der Unterschied zur früheren Selbstkritik der Blumthesen ist »bloß«, daß ich damals »Geschichte und Klassenbewußtsein« aufrichtig und sachlich für verfehlt ansah und heute noch ansehe. Daß ich auch später, als aus den Mängeln dieses Buches Modeparolen gemacht wurden, mich gegen eine Identifikation mit meinen eigentlichen Bestrebungen wehrte, halte ich ebenfalls auch heute noch für richtig. Die vier Jahrzehnte, die seit dem Erscheinen von »Geschichte und Klassenbewußtsein« vergangen sind, die Veränderung in der Kampflage um die echte marxistische Methode, meine eigene Produktion in dieser Periode gestatten vielleicht nunmehr eine weniger schroff einseitige Stellungnahme. Es ist freilich nicht meine Aufgabe festzustellen, in welchem Grade bestimmte, richtig intentionierte Tendenzen von »Geschichte und Klassenbewußtsein« Richtiges, in die Zukunft Weisendes in meiner Tätigkeit und evtl. in der anderer hervorgebracht haben. Hier liegt ein ganzer Komplex von Fragen vor, deren Entscheidung ich ruhig dem Urteil der Geschichte überlassen kann.


Budapest, März 1967


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